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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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Steuern, von der Mehrwertsteuer bis zu den Zollgebühren.
    Mach was draus … Mein Credo, das Monsieur Pozzo »die abdelische Philosophie« nennt. Philosophie ist vielleicht ein kleines bisschen hochgegriffen …

    Wochenlang ziehe ich durch das Land, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden. Ich halte überall an, in jeder Stadt, erkundige mich nach den Firmen in der Nähe, der Einwohnerzahl, dem Lebensstandard der Bevölkerung, der Arbeitslosenquote. Ich schau mir alles genau an: die Landschaft, den Zustand der Straßen, die auf die Felder führen, die Fabriken und Bauernhöfe. Ich studiere die Konkurrenz. Nach Algier gehe ich nicht. Ich begebe mich nicht zur Adresse auf der Rückseite der Briefe, die ich als Kind auf dem Heizkörper im Flur gefunden habe. Ich habe eine gute Ausrede, um die Hauptstadt zu meiden: In einer Großstadt baut man schließlich keine Hühnerzucht auf! Es braucht genügend Raum, damit das Geflügel sich tummeln kann, und Luft, damit die schlechten Gerüche sich verziehen können. Schließlich finde ich in Djelfa den idealen Ort, dreihunderttausend Einwohner, die letzte große Stadt vor der Wüste. Jetzt noch ein paar Schritte zurück, weg von den Wohngebieten, und ich setze meine Fähnchen in den Sand. Das heißt … Ich versuch’s.
    Um ein Stückchen algerische Erde erwerben zu können, muss man beweisen, dass man ein Kind des Landes ist. Eine Geburtsurkunde vorweisen: Ich habe keinen Zugriff auf das Familienstammbuch. Eine Adresse angeben: Ich habe keinen festen Wohnsitz. Einen Ausweis vorlegen: Um einen zu bekommen, braucht man eine Geburtsurkunde … Ich kehre nach Frankreich zurück, und obwohl ich mir meine Niederlage noch nicht eingestehe, ist meine Laune nicht die beste. Monsieur Pozzo fragt mich aus und versteht sofort, was Sache ist.
    Â»Abdel, es gibt keinen Grund sich zu schämen, wenn man seinen Erzeuger um das bittet, was einem zusteht.«
    Er hat recht. Es gibt keinen Grund sich zu schämen. Oder sich zu genieren. Oder zu freuen. Oder zu jubeln. Oder ungeduldig zu werden. Oder Angst zu haben. Es gibt keinen Grund für gar nichts. Wenn ich mir vorstelle, den Mann zu treffen, den ich seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe, empfinde ich nur Gleichgültigkeit. Mein Sohn Abdel Malek, der noch nicht gehen kann, klettert mir auf die Knie. Ich verkünde ihm:
    Â»Ich gehe Großvater besuchen. Na, was hältst du davon?«
    Amal weist mich sanft zurecht.
    Â»Sein Großvater wohnt gleich neben uns. Es ist Belkacem …«

    Es war dann doch nicht einfach, trotz der Gleichgültigkeit … In Algier traf ich einen Kumpel aus Beaugrenelle, der bei seiner Familie zu Besuch war. Ich trug ihm auf, einen meiner Brüder in ein Café zu bringen, ohne ihm zu sagen, dass ich auch da bin. Abdel Moumène, drei Jahre jünger als ich. Er war noch ein Baby, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Als er vor mir stand, wusste er sofort, mit wem er es zu tun hat. Wir hätten ja auch Zwillinge sein können, von ein paar Zentimetern und einer Handvoll Kilos mal abgesehen.
    Â»Abdel Yamine, du bist es! Also so was! Du bist hier? Aber was tust du hier? Und kommst du oft her? Also so was! Komm mit, wir gehen zu den Eltern, sie werden sich freuen, dich zu sehen.«
    Ich winkte ab. Diesmal nicht. Viel Arbeit und so. Ein anderes Mal vielleicht.
    Â»Sag ihnen nicht, dass du mich getroffen hast.«
    Eine Woche später war ich wieder da. Wieder traf ich mich mit Abdel Moumène im Café. Ein ganz sympathischer Typ, fand ich.
    Â»Hör zu, komm mit nach Hause! Wovor hast du Angst?«
    Angst? Vor gar nichts! Fast hätt ich ihm eine geknallt.

    Ich erinnerte mich an das Haus. Als ich es betrat, war alles wieder da. Das Gedächtnis spielte mir einen komischen Streich. Plötzlich stürzten Bilder auf mich ein, die sich zwischen meiner Geburt und meinem Weggang nach Frankreich mit vier Jahren in mir angesammelt hatten. Aber wo haben sie gesteckt, diese Erinnerungen, während all der Jahre in der Cité, in Fleury-Mérogis, in den Palästen von Monsieur Pozzo? Wohin hatten sie sich verkrochen? In welchen Winkel des Spatzenhirns von Abdel Yamine Sellou, des Schlitzohrs, des Gauners, des Diebs … und des Intensivpflegers?
    Da ist wieder das Bild eines riesigen Gartens. Er entpuppte sich als zubetonierter Innenhof. Der Schatten eines
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