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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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immer, ohne zu überlegen, was ich vom Stapel ließ.
    Â»Jetzt ist Schluss mit den Dummheiten, Abdel, jetzt wirst du das richtige Leben kennenlernen«, sagte Monsieur Pozzo.
    Â»Stimmt, ich werde es noch mehr genießen! Jetzt wo ich ausrangiert bin, lasse ich mich fürs Nichtstun bezahlen. Das schöne Leben erwartet mich!«
    Er tat, was er konnte, um etwas Grips in mein Gehirn zu pflanzen. Ich tat, was ich konnte, um ihn zu überzeugen, dass das keinen Sinn hatte. Bezahlt zu werden, um auf dem Sofa herumzulümmeln, interessierte mich nicht mehr: Ich konnte nicht stillsitzen!
    Monsieur Pozzo sprach wie ein Vater zu mir, ein Ratgeber, ein Weiser, er versuchte mir Ordnung und Moral beizubringen, Werte, die mir lange Zeit fremd gewesen waren. Er machte das vorsichtig, klug, um mich nicht gegen sich aufzubringen wie die Lehrer, Polizisten und Richter früher. Er sprach wohlwollend mit mir und tat fast, als wäre das alles nicht so wichtig. Er wollte, dass ich die Gesetze respektierte. Zum Teil bestimmt auch, um die Gesellschaft vor mir zu schützen, aber vor allem, um mich vor der Gesellschaft zu schützen. Er hatte Angst, dass ich mich in Gefahr bringe, dass ich mich wieder dem Gericht und dem Gefängnis, aber auch meiner eigenen Gewalttätigkeit ausliefere. In einem Moment der Schwäche oder der Prahlerei muss mir mal herausgerutscht sein, dass ich Fleury-Mérogis von innen kenne. Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat, aber er hat nicht weiter nachgefragt. Er wusste seit unserer ersten Begegnung, dass ich keine Fragen beantworte oder einfach irgendeinen Stuss erzähle, wenn es um meine Vergangenheit geht. Er wusste, dass man warten muss, bis ich von selbst komme, und dass man unter Umständen lange warten konnte. Er wusste, dass ich unberechenbar war, aber er lenkte mich in halbwegs geordnete Bahnen. Das Spielzeug, das Tier, die Puppe war ich, ich war in seinen unbeweglichen Händen die Marionette. Abdel Yamine Sellou, der erste ferngesteuerte G. I. Joe in der Geschichte.

39
    Ich sage über mich, was ich will und wann ich es will. Wenn ich es will. Hinter einer Wahrheit kann sich eine Lüge verbergen. Eine andere Wahrheit wird so aufgemotzt, dass sie als Lüge erscheint, die Lügen kommen so übertrieben daher, dass man sich schließlich fragt, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit dahintersteckt … Mal sag ich die Wahrheit, mal lüge ich, so blickt keiner durch. Aber es kommt vor, dass ich mich überlisten lasse. Die Journalisten, die mich für Mireille Dumas’ Dokumentarfilm interviewten, haben nicht auf jede Frage eine Antwort bekommen, aber ihnen ist es gelungen, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen. Sie haben mein Schweigen gefilmt. Haben mein Gesicht ganz nah herangezoomt. Haben einen Blick aufgefangen, der auf Monsieur Pozzo ruht. Und diese Bilder sprechen für sich. Sie sagen viel mehr, als ich mit Worten zugegeben hätte.
    Als ich mich auf dieses Buch einließ, dachte ich ganz naiv, ich könnte so weitermachen wie bisher: keine Kameras diesmal, keine Mikrophone. Ich sage, was ich will, und wenn es mir gefällt, dann halte ich den Mund! Ich war mir, bevor ich loslegte, überhaupt nicht bewusst, dass ich bereit zu sprechen war. Bereit war, den anderen, in diesem Fall den Lesern, zu erklären, was ich mir selber noch nie erklärt hatte. Ganz richtig, ich sagte erklären, ich sagte nicht »rechtfertigen«. Ich mag selbstgefällig sein, das dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, aber ich bin kein Mitleidstyp. Mich packt das Grauen, wenn ich sehe, wie die Franzosen alles analysieren und jedes Verhalten mit einer anderen Kultur, einer mangelhaften Erziehung oder einer unglücklichen Kindheit entschuldigen, auch das Unentschuldbare. Meine Kindheit war nicht unglücklich, im Gegenteil! Ich bin aufgewachsen wie ein Löwe in der Savanne. Ich war der König. Stark, intelligent, verführerisch, der Beste. Wenn ich die Gazelle unbehelligt an der Quelle trinken ließ, dann hatte ich keinen Hunger. Aber wenn ich Hunger hatte, fiel ich über sie her. Als Kind warf man mir meine Gewalttätigkeit genauso wenig vor, wie man einem Löwenjungen den Jagdinstinkt vorwirft. Und das soll eine unglückliche Kindheit gewesen sein?
    Es war einfach eine Kindheit, die nicht darauf vorbereitete, erwachsen zu werden. Ich war mir darüber nicht im Klaren und meine Eltern sich genauso wenig. Das kann man
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