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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde
Autoren: Abdel Sellou
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majestätischen Mispelbaumes. Er stellte sich als unfruchtbar heraus. Der Eindruck von unendlich viel Platz. Wir alle kamen kaum im Wohnzimmer unter.
    Auf dem Tisch stand Kaffee, eine dicke, ungenießbare Brühe, wir setzten uns um ihn herum. Der Vater war da, die Mutter, die älteste Schwester, zwei weitere Schwestern, Abdel Moumène und ich. Nur Abdel Ghany fehlte (er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Paris, wo er eine ruhige Kugel schiebt). Wir sahen einander lange an, ohne viel zu sprechen. Ein paar Worte nur. Keine Vorwürfe, sondern Feststellungen.
    Â»Du hast uns nicht oft geschrieben.«
    Um nicht zu sagen überhaupt nicht.
    Â»Du hast uns nicht oft angerufen.«
    Ein Euphemismus!
    Â»Und deiner Frau geht’s gut?«
    Ich stellte fest, dass sie von Belkacem und Amina über mein Leben bestens Bescheid wussten.
    Â»Wir haben dich im Fernsehen gesehen, in dem Film mit dem behinderten Monsieur.«
    Der behinderte Monsieur. Monsieur Pozzo. Wie weit weg er war …
    Ich erzählte ihnen, dass ich im Süden des Landes ein Grundstück suchte, um eine Geflügelzucht aufzubauen. Dass ich mich vielleicht, nur vielleicht, es war noch nicht sicher, dort niederlassen würde. Nicht sehr weit von hier. Ich gab ihnen ein paar Auskünfte über meine Pläne, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Sie hörten mir zu, ohne zu antworten, behielten ihre Meinung für sich, fragten nicht nach. Während ich sprach, ratterte in meinem Kopf eine Frage nach der anderen ab, und ich wunderte mich, warum sie sie mir nicht stellten: Warum ausgerechnet jetzt? Warum so spät? Und was willst du von uns? Was erwartest du?
    Nichts.
    Das war ihnen wohl bewusst, und darum schwiegen sie.
    Ich betrachtete die schlichten Möbel, die orientalischen Sofas mit den ordentlich aufgereihten Kissen in schillernden Farben. Ich betrachtete Abdel Moumène und die anderen Geschwister, die bei Papa-Mama einfach in den Tag hineinlebten. Ich betrachtete diesen Mann mit den hellen, klaren Augen, Augen wie das Mittelmeer, die ich nicht geerbt habe. Ich betrachtete diese Frau, ihre schwarzen, hennagefärbten Haare, ihre europäische Bluse, ihren Bauch, aus dem ich vor fünfunddreißig Jahren herausgekommen war. Ich habe mir meine Familie genau angesehen. Ich bin von allen der Kleinste, der Dickste, der mit den größten Füßen, mit den kürzesten Fingern. Ich bin der Gizmo unter den Gremlins. Danny DeVito neben Arnold Schwarzenegger. In der Cité sagten die Kumpels oft, ich sähe meinem Vater ähnlich. Sie wollten nett sein, mir eine Freude machen. Sie hatten keine Ahnung.
    Ich glaube, meine Eltern haben mir einen Gefallen getan, als sie mich nach Paris brachten. Dort hatte ich bessere Chancen, als ich in Algier gehabt hätte, in diesem bescheidenen Haus, im Schatten eines kränklichen Mispelbaumes mit all meinen Geschwistern. In diesem Land, in dem man die Vögel nicht aus dem Nest schubst, damit sie sich emporschwingen. In diesem Land, in dem ich einem Mann wie Philippe Pozzo di Borgo niemals begegnet wäre.

    Ich konnte das Grundstück in Djelfa schließlich kaufen und stellte acht Männer ein, die mir einigermaßen vertrauenswürdig vorkamen. Gemeinsam haben wir ein Stromaggregat gebaut, die Gebäude errichtet und das Geschäft auf die Beine gestellt. Alle drei, vier Wochen kehre ich nach Paris zurück, um Amal und die Kinder zu sehen, die in Frankreich zur Schule gehen, dort ihre Freunde und ihre Hobbys haben. In Djelfa schlafe ich in meinem Büro. Und wenn ich für ein paar Tage nach Algier fahre, schlafe ich im Zimmer von Abdel Moumène.
    Es wird immer Leute geben, die über mich urteilen. Und mich also verurteilen, ohne einen Augenblick zu zögern. Ich werde immer der kleine Araber sein, der die Schwäche eines schwerbehinderten Mannes ausnutzt. Ich werde immer der Heuchler sein, der Flegel, der keinen Respekt hat vor nichts und niemandem, ein eitler Fatzke, dem es nicht reicht, ins Fernsehen zu kommen, nein, der auch noch mit vierzig seine Memoiren schreiben muss. Aber es ist mir völlig egal, was man von mir denkt. Heute kann ich mich im Spiegel sehen.
    Monsieur Pozzo sagt, ich sei ruhiger geworden, weil ich meinen Platz in der Gesellschaft gefunden habe. Noch vor wenigen Jahren hielt er mich für fähig, »aus einer Laune heraus«, wie er sagt, jemanden umzubringen. Er fügte hinzu, er würde mir Orangen ins Gefängnis
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