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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben
Autoren: Peter Ploeger
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Bemühungen, einem falschen Leben ein Stück richtiges entgegenzusetzen, ohne einen großen Überbau, ohne die Hilfe der Politik, ohne die Unterstützung der Gesellschaft.
    Seit anderthalb Jahrhunderten ringen die zwei großen Systeme des Kapitalismus und des Sozialismus/Kommunismus miteinander darum, welches von beiden das seligmachendereist. Inzwischen, nach 1990, ist nicht mehr nur Heiner Geißler klar, dass sie beide gescheitert sind. 172 Dem Sozialismus ist der Totenschein längst ausgestellt, aber auch die Morbidität des Kapitalismus lässt sich nicht länger als für Kinderkrankheiten eben typische Symptomatik verharmlosen. Aus vielen Gründen – einige davon habe ich hier bereits skizziert – macht auch die freie Marktwirtschaft nicht wohlhabend und frei, sondern abhängig, unsicher und manchmal krank. Wenn aber keines der beiden Systeme in Zukunft noch tragfähig ist, dann nimmt es doch Wunder, warum nach wie vor an beiden festgehalten wird. Ein plausibler Grund für die Sturheit ist: Bisher ist keinem ein besseres System eingefallen. Ohne neue, allumfassende Idee am Horizont bleibt halt nur, am Alten festzuhalten.
    Die Selbstorganisierer schütteln den Kopf über so viel Fantasielosigkeit. Sie können auf beide, Kapitalismus und Sozialismus, gleichermaßen verzichten. Jeder von ihnen tut, was er für richtig und notwendig hält. Im Ergebnis passiert aber etwas Entscheidendes: Alle gemeinsam tragen sie Puzzlestücke zu einem neuen Entwurf zusammen. Schemenhaft sind bereits die Formen eines ganz anderen, dritten Weges zu erkennen, der nicht »von oben« kommt, nicht als intellektuelle Idee beginnt, sondern sich aus den Handlungen derjenigen auffädelt, die das richtige Handeln suchen. Ihre vielen verstreuten Bemühungen – die mannigfaltigen Veränderungen vor Ort in kleinem Maßstab – sind zusammen genommen schon als Ganzes zu erkennen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Sie sind die Reagenzien in einem riesigen Versuchslabor, in dem irgendwann der Systemwechsel als entscheidender Durchbruch gefeiert werden könnte. Der wäre allerdings in der Tat nobelpreisverdächtig.
    Interessant an der Versuchsanordnung ist, dass sie aus der akademischen Sphäre zwar mitversorgt wird, die Energie aber aus der alltäglichen Praxis kommt. Die Chemie passiert auf der Straße. Sie ließe sich wahrscheinlich auch nicht von oben »verordnen«, der Impuls von unten ist wichtig, er wirkt für den Prozess wie die intrinsische Motivation für den Einzelnen. Was in der Selbstorganisation passiert, ist nichts, »das wir künstlich von Intellektuellen propagieren lassen können«,wie der Politikwissenschaftler Michael Vester zu einem ähnlichen Thema schreibt. »Was wir können, ist beobachten und auch anerkennen, was in der Bevölkerung selbst passiert.« 173
Milas Welt
    Was wir beobachten können – alle, die es sehen wollen –, darüber hat dieses Buch erzählt. Noch unsichtbar bleibt das Ganze einer Gesellschaft des dritten Weges. Hier sind wir weiter auf die Fantasie angewiesen. Es lohnt sich, für einen Moment über die Gegenwart hinauszudenken, die Beispiele heutiger Selbstorganisation aufzugreifen und weiterzuspinnen, was sie an Fäden bereits ausgelegt hat. Angenommen, wir wären runde 30 Jahre weiter: Wie sähe ein Deutschland aus, in dem Selbstorganisation das Leitbild ist? Unter welchen Vorzeichen stünde unser Alltag dann? Sagen wir: der Alltag einer jungen Frau, die heute gerade einmal geboren ist.
    Mila lebt seit vier Jahren in einem der neuen Niedrigenergiehäuser am Rand der Innenstadt. Wie jede Wohneinheit (auch die in den höheren Stockwerken) hat sie eine Terrassenfläche, auf der sie einen Garten angelegt hat. Das Zwölf-Parteien-Haus ist im Besitz eines Urban-Gardening-Conviviums, dem alle Mieter als Mitglieder angehören. Die Regeln des Conviviums sehen vor, das jeder Bewohner mindestens die halbe Fläche seines Kleingartens für den Anbau von Nutzpflanzen gebraucht. Das Convivium unterhält über die Mietwohnungen hinaus Ackerflächen außerhalb der Stadt, die zum Teil von den Mitgliedern in Gemeinschaftsarbeit bewirtschaftet werden, unterstützt von professionellen Landwirten. Wer möchte, kann sich auch an der Pflege der Nutztiere beteiligen. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist für alle Mitglieder sichergestellt, Milas Convivium mit seinen insgesamt acht Häusern erwirtschaftet sogar regelmäßig Überschüsse.
    Es wird viel getauscht zwischen den Nachbarn. Auf Milas Ebene liegt der
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