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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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die Erinnerung an sie berührte mich auch jetzt noch. »Also gut«, sagte ich. »Ich rufe sie an.«
    Jennifer reichte mir das Telefon, und ich überwand mich, die Nummer einzugeben, die Genevieve mir aus ihrem Notizheft diktierte.
    »Hallo?« Kittys Stimme klang rauer als früher, aber ihr Ton war immer noch derselbe. Ich erstarrte und brachte kein Wort heraus.
    »Hallo?«, sagte Kitty noch einmal. »Wenn Sie von der Marktforschung sind …«
    »Kitty?«, krächzte ich.
    »Ja?«
    »Kitty«, sagte ich, während mir Tränen über die Wangen liefen. »Ich bin’s, Anne.«
    »Anne?«
    »Ja!«, rief ich. »Anne Calloway. Anne Godfrey.«
    »Ach du lieber Gott, Anne«, sagte sie. »Bist du das wirklich?«
    »Ja, ich bin’s wirklich.«
    Jennifer gab mir ein Taschentuch, und ich schneuzte mich, während ich Kitty am anderen Ende der Leitung schniefen hörte.
    »Anne, ich … ich …« Ihr versagte die Stimme. »Großer Gott, das kann doch nicht wahr sein! Wie geht es dir?«
    »Komisch, ich weiß gar nicht, was ich dir darauf antworten soll. Nach all den Jahren … Wo soll ich anfangen?«
    »Tja«, sagte Kitty leise. Die Härte, die in Paris in ihrer Stimme gelegen hatte, war verschwunden. Sie klang weicher. Vielleicht war ja auch ihr Herz weicher geworden. »Ich kann damit anfangen, dass ich dich um Verzeihung bitte.«
    »Kitty, ich …«
    »Nein, lass mich ausreden«, unterbrach sie mich. »Es geht mir nicht gut, Anne. Vielleicht werde ich keine Gelegenheit mehr bekommen, dir zu sagen, was ich dir zu sagen habe, deswegen muss es jetzt sein.« Sie holte tief Luft. »Ich hätte mich schon vor Jahren bei dir melden sollen. Ich weiß auch nicht, warum ich es nicht getan habe. Und ich schäme mich dafür.«
    »Ach, Kitty«, sagte ich und wischte mir erneut die Tränen von den Wangen.
    »Ich bereue zutiefst, dass ich auf der Insel und später in Paris so gemein zu dir war«, fuhr sie fort. »Nach der Geburt bin ich innerlich zu Stein erstarrt. Es war, als wäre ich in ein schwarzes Loch gefallen. Heute weiß ich, dass ich Depressionen hatte – Kindbettdepressionen, wie meine Tochter mir später erklärt hat. Aber ich …«
    Ich schaute Genevieve an, die still auf dem Schreibtischstuhl saß. Sie war Kitty so ähnlich … »Du hast eine Tochter?«, fragte ich.
    »Ja, drei – das heißt, eigentlich vier …« Sie seufzte. »Ich habe einen anständigen Mann geheiratet. Ich habe ihn nach dem Krieg in Paris kennengelernt, ein Marine. Wir sind nach Kalifornien gezogen. Wir haben ein schönes Leben zusammen, uns geht es gut.« Sie zögerte. »Geht es dir auch gut, Anne? Ich habe so oft an dich gedacht.«
    »Ja, mir geht es gut«, antwortete ich leise. »In fast jeder Hinsicht.«
    Kitty seufzte. »Anne, ich muss dir etwas sagen. Über Westry.«
    Wie konnte der Name mich immer noch so tief berühren? Mir so einen heftigen Stich versetzen? Ich schloss die Augen ganz fest.
    »Er hat unaufhörlich von dir gesprochen, damals in Paris«, fuhr sie fort. »Er hat jeden Tag nach dir gefragt und auf dich gewartet.«
    »Ich war da«, sagte ich. »Das weißt du.«
    »Ja.« Ich konnte regelrecht spüren, wie sehr Kitty sich schämte. »Ich war neidisch auf das, was ihr miteinander hattet«, sagte sie.
    »Und aus dem Grund hast du seine Briefe an mich abgefangen?«
    »Das weißt du?«, fragte Kitty entgeistert.
    »Ich habe es gerade erst erfahren.«
    »Ach, Anne, es tut mir so leid«, sagte sie unter Tränen. »Wenn ich mir vorstelle, dass sich durch mein Verhalten dein ganzes Leben verändert hat. Ich kann den Gedanken kaum ertragen.«
    Mit einem Mal war der Groll, den ich all die Jahre gegen sie gehegt hatte, verflogen. »Ich verzeihe dir«, sagte ich. »Du hast gesagt, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich empfinde es genauso.«
    »Ich habe immer noch meine Brosche«, sagte Kitty. »Das Gegenstück zu der, die ich dir damals im Cabaña Club geschenkt habe. Ich bewahre sie in meinem Schmuck kästchen auf, Anne. Ich schaue sie mir immer wieder an und denke an dich.«
    Ich erinnerte mich an den Tag, an dem sie mir die Brosche geschenkt hatte, als Unterpfand ewiger Freundschaft. Ich schloss die Augen und sah die kleine Schachtel vor mir, eingewickelt in blaues Papier, mit einer goldenen Schleife. Um uns herum der Zigarettenrauch. Wenn die Brosche doch nur unsere Freundschaft zusammengehalten hätte. Aber vielleicht hatte sie das ja. Ich nahm meine Brosche aus der Tasche und betrachtete die blauen Edelsteine.
    »Ich habe meine auch noch, Kitty«,
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