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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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gehörte, nicht, als ob er sich zwischen den Kulissen verstecken wollte.
    »Er könnte am Premierenabend hier sein«, sagte sie leise. »Und viele andere Leute auch. Du musst den Raum dort draußen vergessen. Dieser Raum hier ist, worauf es ankommt.«
    Er nickte. Sein langes, glattes Haar fiel ihm ins Gesicht – sein eigener privater Vorhang. In einen Jungen wie ihn hätte sie sich auf der Highschool verliebt. Vielleicht hatte sie ihn deshalb ausgewählt. Siebenundzwanzig Jahre alt, und sie benahm sich immer noch wie ein Teenager.
    »Versuch diese Zeile noch einmal. Vor mir.«
    Er nickte. Er hielt ihrem Blick stand. Er holte einmal tief Luft. Er flüsterte: »Ich kann diese Zeile nicht zu Ihnen sagen. Ich kann diese Zeile zu niemandem sagen.«
    Liebe mich. Liebe mich. »Sag es immer wieder«, würde sie später zu ihm sagen. »Sag es so, als ob du es ihr befiehlst.« Aber in diesem Augenblick, mit seinem Vater im Theater, flüsterte sie: »Geh jetzt nach Hause. Wir werden morgen weiterarbeiten.«
    »Mein Sohn findet, dass Sie wundervoll sind«, sagte der Mann. Er sah sie mit seinen grünen Augen an, und sie sah stattdessen auf seinen Mund, und dann auf den offenen V-Ausschnitt seines Pullovers. Grauer Pullover unter einem schwarzen Anzug. Silbergraues Haar, das sich in seinem Nacken ringelte. Sie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte.
    »Ich finde, er ist ziemlich klasse.«
    »Sie unterrichten Französisch und Theater?«, fragte er.
    »Ich unterrichte Französisch, und ich pfusche im Theater herum.«
    Er lächelte. Er sah gut aus, so wie Brady eines Tages vielleicht aussehen würde. Aber dieser hochgewachsene, forsche Mann hätte niemals schüchtern oder süß sein können. War das der Grund, weshalb Brady seine Rolle auf der Bühne nicht einnehmen konnte?
    »Simon«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Josie.« Sie ergriff seine Hand und spürte, wie sich seine Handfläche gegen ihre presste, als würde ein Geheimnis zwischen ihnen ausgetauscht werden.
    »Kann er das denn?«, fragte Simon mit einer Geste in Richtung Bühne. Brady war gegangen, um seine Bücher und seine Jacke zu holen. Sie standen im hinteren Teil des Theatersaals. Josie hatte vergessen, das Licht einzuschalten. Der dunkle Raum, der holzartige Geruch des neu gebauten Bühnenbilds, die Reihen mit leeren Stühlen, die von ihnen wegzeigten – Josie hatte schon jetzt das Gefühl, als würden sie irgendetwas Verbotenes tun.
    »Ja«, log Josie.
    »Dann sind Sie wirklich gut«, sagte Simon.
    »Dad!« Brady kam die Stufen hochgesprungen.
    »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte Josie und wandte sich zum Gehen.
    »Warten Sie«, sagte Simon.
    Sie konnte nicht warten. Sie bekam kaum noch Luft.
    »Schönen Abend noch, ihr zwei.« Sie schlüpfte zur Tür hinaus.
    Liebe mich. Sie war völlig überrumpelt davon, würde sie später zu ihrer Freundin Whitney sagen. Sie lehnte sich gegen die Wand des Korridors, das Regiebuch an die Brust gedrückt. Der Dad irgendeines Schülers. Ein verschmitztes Lächeln, und es war um sie geschehen.
    »Denk nicht einmal daran«, sagte Whitney zu ihr.
    »Ich kann an nichts anderes denken«, sagte sie an jenem Abend am Telefon. »Ich werde mit dem Unterrichten aufhören und dem Peace Corps beitreten.«
    »Du hast nichts getan«, rief Whitney ihr in Erinnerung.
    »Er wird heute Abend anrufen«, erzählte ihr Josie.
    »Ich habe eigentlich keinen guten Grund, Sie anzurufen«, sagte er.
    »Ich habe eigentlich keinen guten Grund, mit Ihnen zu reden«, antwortete sie ihm.
    Sie schwiegen beide einen Augenblick. Josie war eine Stunde zuvor zu Bett gegangen und hatte ihre Gedanken um ihn kreisen lassen, um seine Worte, seine Augen, den V-Ausschnitt seines entblößten Halses, bis sie nur noch dalag, erschöpft, wie von irgendetwas besiegt. Als das Telefon klingelte, schoss ihre Hand zum Hörer.
    »Und ich tue so etwas eigentlich nicht«, sagte er. Seine Stimme klang erstaunlich unsicher. »Ich rufe Frauen – vor allem die Lehrerin meines Sohns – nicht spätabends zu Hause an.«
    »Sie sind verheiratet.«
    »Ich bin verheiratet.«
    »Ich werde dem Peace Corps beitreten. Das habe ich heute Abend beschlossen.«
    »Kann ich Sie sehen, bevor Sie sich einschiffen?«
    Sie hätte Nein sagen können. Sie hätte sagen können: »Ich werde meinen Job verlieren. Ich werde mich selbst verlieren.« Aber sie sagte Ja. Ja.
    »Wie kam es eigentlich, dass Sie Französischlehrerin geworden sind?«, fragt der Privatlehrer.
    Nico. Sein
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