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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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sieben.«
    »Ich werde da sein.« Philippe knallt seine geleerte Espressotasse auf den Tisch.
    Nico sieht Chantal an. Sie schenkt ihm ein Lächeln, das voller Geheimnisse ist. Für ihn? Er kennt sie nicht, trotz einer Liebesnacht, seit der er sich jeden Tag nach mehr sehnt. Sehnt er sich nach mehr von ihr? Nicht einmal das weiß er. Er ist ein Hochstapler, ein Dichter, der sein eigenes Verlangen nicht versteht. Sehnt er sich einfach nach dem Verlangen? Nein, was er will, ist Liebe, versichert er sich.
    »Ich bin Paris leid«, sagt Chantal.
    »Warum?«, fragt er.
    »Es ist zu laut. Es ist zu grau. Manchmal habe ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.«
    Nico sieht sich um. In der Rue de Paradis kann er einen tabac, eine papeterie und einen plombier zwischen den Wohnhäusern versteckt erkennen. Es ist eine Straße wie fast jede andere in Paris, und doch liebt er die Art, wie das Sonnenlicht auf die hohen Fenster der Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert fällt, die Art, wie sich das Café auf die Straße ausdehnt, die Art, wie die Fußgänger vorübereilen, alle gehetzt und voller Ungeduld. Paris hat ihn immer bezaubert, seit er mit achtzehn aus der Normandie weggegangen und nie wieder zurückgekehrt ist. Er mag sogar den unablässigen Regen. Auch heute rechnet er, obwohl der Himmel klar ist, mit einem erneuten Ansturm von Gewittern. Der Regen ist ihm recht – er sorgt an seinen freien Tagen dafür, dass er zu Hause bleibt, schreibt und Jazz hört. Aber natürlich muss Chantal dieses Wetter hassen. Sie ist für den Sonnenschein gemacht.
    »Ich fahre nach London«, sagt Philippe. »Im September.«
    »Das hast du mir gar nicht erzählt«, sagt Chantal leise.
    »Wir haben da einen Gig – ich weiß noch nicht, aber vielleicht werde ich bleiben. Wir können dort ein Demoband aufnehmen. Mein Schlagzeuger hat einen Freund, der uns ein Studio vermitteln kann.«
    »Das ist ja toll«, sagt Nico zu ihm.
    Philippe funkelt ihn an.
    Nico kramt in seiner Hosentasche nach ein paar Euros, um seinen Kaffee zu bezahlen.
    Chantal sieht auf ihre Armbanduhr. Während sie Geld aus ihrer Tasche nimmt, sagt sie: »Ich würde lieber irgendwohin ziehen, wo es warm ist. Und sehr grün.«
    Philippe wirft ein paar Münzen auf den Tisch und stürmt davon. Seine Kuriertasche knallt gegen seinen Rücken. Er verabschiedet sich nicht.
    »Warum hast du es ihm gesagt?«, fragt Nico Chantal.
    »Entschuldige.«
    »Ich dachte, das geht nur uns beide etwas an.«
    »Das tut es nie.«
    »Warum nicht?« Er versucht, ihr in die Augen zu sehen, aber sie hält den Kopf gesenkt und schwenkt den letzten Rest Espresso in ihrer Tasse.
    »Wir alle bringen immer so viele Leute mit ins Bett. Wir sind nie allein.«
    »Er ist stocksauer.«
    »Weil ich die Regeln geändert habe. Ich durfte nicht dasselbe Spiel spielen wie er.«
    »Und jetzt? Was spielst du jetzt für ein Spiel?«
    Chantal sieht auf. Sie streckt eine Hand aus und berührt seine Wange. »Ich weiß nicht. Philippe hat mich zu einem anderen Menschen gemacht. Ich würde gern wieder an die Liebe glauben.«
    Sie hatten im Bett noch lange geredet, nachdem sie sich in jener Nacht geliebt hatten. Als Nico ihr von seiner Jugendliebe erzählte, und wie sie sich beide mitten in der Nacht oft von zu Hause weggeschlichen hatten, um auf dem Heuboden der Scheune zu schlafen, hatte Chantal zu ihm gesagt: »Die junge Liebe lehrt dich, wie man lieben soll. Du kannst dich so glücklich schätzen. Die meisten von uns versuchen jahrelang zu lernen, wie das mit der Liebe geht.« Nico weiß, dass Chantal an die Liebe glaubt. Aber sie war an jenem Abend betrunken, sie hat ihren Freund betrogen, und sie will vergessen, was sie beide getan haben.
    Sie steht auf und sammelt ihre Sachen ein. Die Tasche über die Schulter geschlungen, geht sie in Richtung métro-Station. Sie sieht noch einmal zurück.
    »Ich habe das alles hinter mir«, sagt sie. »Ich bin bereit für das, was dieser Tag bringen wird, egal was.« Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln, eines voller Hoffnung auf etwas anderes, jemand anderes.
    Nico sieht ihr nach. Er versucht, sie so lange wie möglich im Blick zu behalten. Die Sonne versteckt sich hinter einer Wolke, kommt dann wieder zum Vorschein und taucht die Straße in ein neues Licht. Chantal verschwindet im Eingang der métro. Nico zieht das Blatt Papier aus seiner Gesäßtasche und faltet es auseinander. Josie Felton. Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Es ist Zeit.

Josie und Nico



Josie
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