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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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Chantal schloss die Augen, schlang den Arm um Philippes Rücken und öffnete die Lippen, als wäre sie im Begriff, einen Laut von sich zu geben, der zu intim für einen solch öffentlichen Ort war. Nico erinnert sich, gedacht zu haben: Ich will sie kennenlernen.
    Jetzt sehen die beiden ihn über den Tisch hinweg an, als ob sie auf etwas warten.
    »Hast du denn genügend Gigs, um über die Runden zu kommen?«, fragt Nico. Er weiß eigentlich gar nicht, was Philippe macht, musikmäßig.
    »Ich habe gestern Abend eine Leadsängerin vorsingen lassen«, sagt Philippe. »Sie war ein echter Hammer.«
    »Und deswegen hast du sie gefickt«, sagt Chantal.
    Nico hat Chantal noch nie derb reden hören. Schließlich funkeln sich Chantal und Philippe wütend an. Nico denkt: Ich sollte nicht hier sein.
    »Ich habe gestern Nacht von dir geträumt«, sagt Philippe. »Du standest mitten auf der Champs-Élysées. Nackt. Ein Haufen Touristen hat dir zugejubelt und Münzen vor die Füße geworfen.«
    »Ich habe letzte Woche mit Nico geschlafen«, sagt Chantal zu Philippe.
    Nico sieht Philippe an, sagt aber nichts. Damit hat er nicht gerechnet. Was in jener Nacht zwischen ihm und Chantal geschehen ist, war so persönlich, so privat und in sich geschlossen, dass er nie die Möglichkeit in Betracht gezogen hat, sie könnte es Philippe erzählen.
    »Kein Problem, Mann. Das nehme ich dir nicht übel. Sie ist heiß. Sieh sie dir an. Man würde meinen, sie ist eine verklemmte Zicke. Aber sie ist echt heiß.«
    »Philippe«, sagt Chantal. Ihre Stimme klingt schwermütig.
    Nico erinnert sich, wie verblüfft er über Chantals Haut gewesen war. Er hat Chantal an jenem Abend langsam ausgezogen, während das Boot schaukelte und das Licht des Sommermonds durch das Bullauge hereinflutete. Er hatte sich etwas anderes vorgestellt – weiße Haut, unberührt von der Sonne, einen langen, schmalen Körper. Aber ihre Haut war sonnengebräunt und ihr Körper ein Auf und Ab entzückender Kurven. Sie lag auf der Seite, und sie sahen einander an. Obwohl er darauf wartete, dass sie ihm Einhalt gebot, dass sie ihre Meinung änderte und ihn zu gehen bat, gab sie ihm ihr Einverständnis mit ihren wachsamen Augen, ihrem verspielten Lächeln, ihrem Schweigen. Er glitt mit den Fingern über die Rundungen ihres Körpers, vom Nacken über ihre Schulter zu ihrer Taille und Hüfte bis hin zu ihrem ausgestreckten, herrlich langen Bein. Die Landschaft von Chantal, dachte er.
    Rachesex, ruft er sich in Erinnerung. Chantal brauchte diese Situation an der Straßenecke heute Morgen nicht, um bestätigt zu bekommen, was sie bereits wusste.
    »Erzähl uns von deinem Buch, Nico«, sagt Chantal.
    Er sieht sie verblüfft an. Sie schenkt ihm ein gequältes Lächeln. Hat er sie verloren? Natürlich hat er sie verloren. Er hat sie nie gehabt.
    »Nicht jetzt«, sagt er. »Heute Abend. Ich werde im La Forêt eine Flasche Champagner bestellen.«
    Nico erinnert sich an die Euphorie, die er nach dem Anruf der Lektorin gestern Abend empfunden hatte. Das werde ich Chantal erzählen, hatte er augenblicklich gedacht. Und die ganze lange, unruhige Nacht hatte er sich ihre Freude über seine Neuigkeit vorgestellt. Er stellte sich ihre behutsamen Fragen vor, ihre Bewunderung, ihren neuen Respekt. Er hatte seine Gedichte mit strengster Verschwiegenheit gehütet, und jetzt verspürt er, anstatt den überschwänglichen Stolz zu genießen, den er erwartet hat, ein seltsames Gefühl von Verlust. Hat er gedacht, er könnte sie mit Gedichten erobern? Hat er törichterweise geglaubt, er hätte sie mit einer Nacht Sex bereits erobert?
    »Treffen wir uns um sieben?«, fragt sie. Natürlich. Sie treffen sich immer freitags abends. Aber alles hat sich verändert.
    Der Kellner kommt und stellt ihre Kaffeetassen auf den Tisch.
    »Du sucre«, sagt Philippe. Der Kellner vergisst jedes Mal, Zucker zu bringen.
    »Wirst du auch kommen?«, fragt Chantal Philippe, als der Kellner geht.
    »Heute Abend? Wer weiß, was dann ist? Bis heute Abend bist du vielleicht mit deinem Amerikaner durchgebrannt«, sagt Philippe.
    »Es reicht.« Chantal tut seine Bemerkung mit einer stillen, leichten Handbewegung ab.
    Der Kellner schiebt im Vorbeieilen eine Dose Zuckerwürfel auf den Tisch. Philippe wirft drei Stück in seine Tasse. Sie schlürfen alle ihren Kaffee. Nico schaut zu dem jungen Paar am Nebentisch hinüber, das sich jetzt küsst.
    Schließlich sieht Chantal zu Nico hoch und sagt: »Champagner wäre schön.«
    »Dann um
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