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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris
Autoren: E Sussman
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zwölf Zentimeter hohen Absatz, der wie ein Dolch aussieht.
    »Perfekt«, sagt sie zu ihm.
    »Sie möchte diese hier anprobieren«, sagt er zu einer Frau.
    Sie sind in einem Schuhgeschäft, aber Josie kann sich nicht erinnern, es betreten zu haben. Die Verkäuferin weiß, dass das alles nur Show ist. Sie sieht Josie voller Verachtung an, als würden ihre roten Converse-Turnschuhe den weißen Marmorboden besudeln. Josie sagt ihr, dass sie Größe 38 hat, und die Verkäuferin murmelt leise: »Américaine.«
    Nico setzt sich zu ihr auf die zebragestreifte Bank.
    »Ihr Akzent ist perfekt«, flüstert er. »Es sind die Schuhe, die Sie verraten haben.«
    »Wie viel kosten die blauen Schuhe?«, fragt sie ihn.
    »Ihr Gehalt. Denken Sie gar nicht daran. Wir spielen ein Spiel.«
    »Sie weiß das.«
    »Na und? In diesem lächerlichen Laden ist doch sonst niemand.«
    In dem Geschäft hängen Plastikschweine von der Decke. Alles ist aus Lackleder, selbst der Minirock der Verkäuferin und ihre Go-go-Stiefel.
    Die Frau stellt einen Karton neben Josie auf die Bank. »Wir haben nur Größe 39.« Sie entfernt sich.
    »Selbst meine Füße sind zu klein für diesen Laden«, flüstert sie Nico zu.
    »Ihre Füße sind perfekt«, sagt er.
    »Ich habe einen Freund«, sagt sie zu ihm. Es rutscht ihr einfach heraus.
    »Natürlich haben Sie einen«, sagt Nico. Er ist nicht zu bremsen.
    Sie ist seltsam erfreut. Ein halbes Jahr lang konnte sie nie sagen: »Ich habe einen Freund.« Sie konnte nicht sagen: »Am Mittwochabend gehe ich mit meinem Freund essen.« Oder: »Mein Freund trifft sich übers Wochenende mit mir in San Francisco.« Oder: »Ich fliege mit meinem Freund nach Paris.« Ein halbes Jahr lang war ihr Glück ein Geheimnis. Jetzt ist ihre Trauer ein Geheimnis. Sie hatte kein Recht auf den Freund. Und sie hat kein Recht auf diese Trauer.
    Nico nimmt die Schuhe aus dem Karton und reicht ihr einen davon. Er ist umwerfend, dieser Stiletto. Sie hält ihn mit beiden Händen, ist hingerissen davon.
    »Ziehen Sie ihn an«, sagt Nico.
    Sie schlüpft aus ihren Turnschuhen und mit einem nackten Fuß in den Schuh. Er passt; um genau zu sein, schmiegt er sich an ihren Fuß und sitzt so angegossen wie eine neue Haut. Sie braucht eine neue Haut. Vielleicht ist ihre neue Haut ein türkisfarbener »Fick mich«-Schuh. Sie schlüpft in den zweiten und steht auf.
    Ihre Füße schwanken. Sie kichert, und das Geräusch ihres eigenen Lachens verblüfft sie. Sie sieht Nico an und spürt, wie sie errötet.
    »Sehen Sie sich an«, sagt er.
    Sie sieht in den Spiegel. Sie trägt Jeans und ein schwarzes Tanktop. Die metallicblauen Schuhe machen einen anderen Menschen aus ihr. Sie sieht groß aus in dem Spiegel, größer, als sie je gewesen ist. Sie hat in den letzten Wochen abgenommen, und sie kann ihre Wangenknochen sehen, ebenso die Schlüsselbeine unterhalb des Halses. Sie ist keine Lehrerin. Sie ist eine Frau, die einen Freund hat, auf einer Reise nach Paris. Er konnte nicht mitkommen, aber sie wird ein Paar Schuhe mitbringen, von denen er begeistert sein wird. Josie lächelt, und die Frau im Spiegel lächelt zurück. Es ist ein teuflisches Lächeln.
    »Ich nehme sie«, sagt sie.
    Nico lacht. »Ich wünschte, ich könnte sie Ihnen kaufen.«
    »Im Ernst«, sagt Josie. »Ich will sie haben.«
    »Sie kosten vierhundert Euro.«
    Josies Magen schlägt einen Purzelbaum; sie befürchtet einen Moment, sich übergeben zu müssen. Und das ist der Augenblick, als sie, anstatt den schwindelerregenden Preis für dieses Paar Schuhe zu berechnen, Wochen zählt – die Wochen, seit sie das letzte Mal mit Simon geschlafen hat, die Wochen seit ihrer letzten Periode. Sie ist schwanger. Sie weiß es, als sie den Blick im Spiegel hebt – von ihren schwankenden Füßen hoch zu ihrem Bauch. Es ist derselbe straffe Bauch, dieselbe schmale Taille. Aber jetzt trägt sie Simons Kind in sich.
    »Gehen wir«, sagt sie zu dem Privatlehrer. Sie kann sich an seinen Namen nicht erinnern. Sie taumelt auf den gefährlich hohen Absätzen zurück zu der Bank und lässt sich neben ihn fallen. Sie kann gar nicht schnell genug aus diesen Schuhen schlüpfen. Die Verkäuferin lächelt herablassend, gegen ihren Hochstuhl neben dem Kassentresen gelehnt, während ein Schwein mit rosa Schnauze über ihrem Kopf schwebt.
    Josie presst den Kopf zwischen ihre Beine.
    »Alles in Ordnung?«, fragt der Privatlehrer. Er legt ihr eine Hand auf den Rücken. Seine Hand brennt, und die Hitze strahlt durch ihr
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