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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Autoren: Stephan Niederwieser
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befreien. Dann lief sie hinaus.
    Es ging auf zwölf zu. Die Zeit wollte nicht vergehen. Allein die Stunde, bevor Barbara endlich eintraf, fühlte sich länger an als mein ganzes Leben bis zu diesem Zeitpunkt. Barbarella schickte Blumen, einen wunderschönen Strauß von orangefarbenen irgendwas – mit Blumen kenne ich mich nicht aus, das ist Edvards Job. Und Max hatte einen Korb mit Fressalien zusammengestellt; aber Appetit hatte ich keinen.
    Sieglinde brachte ein paar Becher Kaffee mit und ein paar Flaschen Wasser. Manu war natürlich nicht mehr im Auto gewesen und hatte damit ihrer Mutter einen ordentlichen Schreck eingejagt. Aber das Gör besaß – Gott sei Dank, muß man in diesem Fall sagen – ein Handy, und so war es ein leichtes, sie in der Cafeteria zu finden. Sie mußte dort geraucht haben, jedenfalls roch es nach Aschenbecher, sobald sie bei uns saß, und alle Stunde verschwand sie „aufs Klo“, wo sie dann zehn Minuten brauchte.
    Manu war dick geworden. Sie sah ihrer Mutter immer ähnlicher, nur daß ihr Haar lang und braun und glatt war und nicht kurz und schwarz und kraus.
    Sie spielte Gameboy, was mich nervte, aber dadurch hielt sie wenigstens die Klappe, und wir mußten uns keine schnoddrigen Antworten anhören. An Edvard hatte sie vorbeigeschaut; ich hatte praktisch darauf gewartet, daß sie ihm auftrug, ihr etwas zu essen zu bringen. Aber das wagte sie dann doch nicht.
    Kurz nach eins kamen dann Barbara und ihr Mann.
    „Lange nicht gesehen“, sagte Thaddäus, den meine jüngste Schwester immer nur Mausi nannte, und schüttelte mir die Hand. Er hatte sich kaum verändert, sah immer noch aus wie das Bübchen, das ich vor Jahren kennengelernt hatte, nur ein bißchen älter. Den grätigen Schnauzer, der damals wirkte, als wollte er nicht so recht wachsen, hatte er inzwischen abrasiert, sein dunkelblondes Haar trug er kürzer, was ihn noch lange nicht schöner machte. Einen Topfschnitt nannte man das damals in den Siebzigern, und ich fragte mich, ob meine Schwester ihm den verpaßt hatte. Unverändert seine Art, hinter Barbara zu stehen, hinter ihr herzuzockeln und nur zu sprechen, wenn sie ihn dazu aufforderte. „Ich glaube, das letzte Mal haben wir uns …“
    „Es ist lange her“, unterbrach ich ihn. Der Anlaß war Vaters Beerdigung, aber das wollte ich in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wissen. Es fröstelte mich bei der Vorstellung, daß wir uns nur zu Beerdigungen trafen, aber es war auch irgendwie typisch für meine Familie.
    Barbaras Bauch wölbte sich weit vor; sie mußte hochschwanger sein. Mutter erzählte davon, aber da es mir meine jüngste Schwester nie mitgeteilt hatte, beschäftige es mich nicht.
    „Du siehst gut aus“, sagte Gudrun zu unserer kleinen Schwester. „So rosig …“
    Ich mußte gestehen, daß sie tatsächlich gut aussah; die Schwangerschaft stand ihr. Ihre Wangen waren ausgefüllt, ihre Augen runder und nicht so spitz, ihre Lippen voller. Sie hatte Farbe im Gesicht, und die Dauerwelle, die sie nun trug, umrahmte ihr Gesicht, gab ihm Halt. Insgesamt wirkte sie reifer und erwachsener. Es ließ mich für das kleine Ding, das da in ihrem Bauch wuchs, hoffen, denn bevor ich diese Veränderung an ihr gesehen hatte, ging ich davon aus, daß sie ein ähnliches Biest gebären würde wie Sieglindes Manu.
    „Nicht wahr?“ bestätigte Mausi. „Das Baby kommt ja schon in vierzehn Tagen“, sagte er dazu, als würde das alles erklären, und da flennte Barbara auch schon los: „Ich wollte doch, daß Mama noch ein Enkelkind bekommt.“
    Gudrun liefen die Tränen, und Sieglinde kämpfte schwer damit. Natürlich konnte sich Edvard auch nicht zusammenreißen. Wie sehr wünschte ich, daß mein Bruder Ludwig hier wäre. Er hätte die Sache mit ähnlich klarem Verstand betrachtet wie ich.
    Ich klopfte an der Stahltür, um Barbara anzukündigen, und bat die Schwester noch mal, daß der Arzt ihr nichts sagen sollte. Er ließ sie gleich rein, womit ich das erste Heuldrama unterbrechen konnte.
    „Hast du Ludwig erreichen können?“ fragte ich Sieglinde.
    Sie schüttelte den Kopf. „Er ist auf einer Baustelle in Genf. Sie haben mir eine Nummer gegeben, aber da ist erst am Abend wieder jemand zu erreichen.“
    Genf. Es würde mindestens einen Tag dauern, bis er hier wäre. So lange konnte ich nicht warten. So lange durfte ich nicht warten. Ich mußte ihnen jetzt sagen, daß Mutter nur noch von Maschinen am Leben gehalten wurde, und ich mußte sie darauf vorbereiten, daß wir bald
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