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Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Autoren: Brian Keene
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würden keine Anrufe tätigen können, weil sie keinen Strom hatten. Für sie war das hingegen kein Problem. Triumphierend hob sie den Hörer ab, hielt ihn ans Ohr und verharrte mit dem Finger über der Wählscheibe.
    Kein Freizeichen.
    »Scheiße.«
    Bobby sog empört die Luft ein, dann grinste er. »Du hast ein schlimmes Wort gesagt, Mami.«
    »Mami darf ein schlimmes Wort sagen, wenn das Telefon ausgefallen ist.«
    »Was bedeutet das?«
    »Das bedeutet, dass unser Telefon genauso wenig funktioniert wie der Strom.«
    »Heißt das, ich darf auch ein schlimmes Wort sagen?«
    »Nein. Und iss deine Erbsen. Ich hab dir schon mal gesagt, dass es nicht so aussieht, als hättest du mehr gegessen, wenn du das Essen auf dem Teller rumschubst. Dadurch wird es nur …«
    Ein langes, klägliches Geheul ließ sie jäh verstummen. Jean und Bobby schauten erst zum Fenster, dann gegenseitig in ihre Gesichter. Ein zweites Heulen schloss sich an, gefolgt von mehreren weiteren.
    »Warum heulen die Hunde, Mama?«
    Jean schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Bärchen. Ich weiß es nicht.«
    »Vielleicht ist draußen ein Bär. Darf ich mal nachsehen?«
    »Nein, Bobby. Und ich sag’s dir nicht noch mal: Mach deinen Teller leer.«
    Jean trat ans Küchenfenster und spähte hinaus. Das Kläffen und Heulen waren noch lauter geworden und hingen bedrohlich in der Luft. Die Straße lag im Dunkeln, und Jean konnte kaum etwas erkennen. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, zu Axels Haus hinüberzugehen und nach ihm zu sehen, entschied sich dann jedoch dagegen. Sie wollte Bobby nicht allein lassen. Jean konnte es sich nicht erklären, aber ihre Unruhe war zurück, und diesmal würde kein Kerzenlicht der Welt sie vertreiben können.
    Als Bobby anfing, das Geheul der Hunde nachzumachen, hätte sie um ein Haar laut aufgeschrien.
    Donny Osborne hievte den letzten – seitlich mit Filzstift als FOTOALBEN beschrifteten – Karton auf die Ladefläche seines Pick-ups und grunzte vor Anstrengung. Seufzend schlug er die Heckklappe zu. In beiden Geräuschen, dem Seufzen und dem Knall der Heckklappe, schwang etwas Endgültiges mit. Er schaute zu Boden und bemerkte, dass ein Schnürsenkel aufgegangen war. Er stützte den Fuß auf der Heckstoßstange ab und band den Schuh wieder zu. Das feuchte Gras hatte einen kalten Schleier daraufgelegt. Trotz der kühlen Luft lief Donny der Schweiß herunter. Nachdem er sich die Stirn mit dem Zipfel seines T-Shirts abgewischt hatte, lehnte er sich gegen das Auto und seufzte. Er versuchte, das Haus nicht anzusehen, weil ihn das mit Traurigkeit erfüllte, doch er konnte nicht anders. Während er so dastand und nach Luft schnappte, wanderte sein Blick unweigerlich zu seinem langjährigen Zuhause.
    Irgendwie kam ihm das Haus kleiner vor. Vielleicht lag es daran, dass er mittlerweile erwachsen war. Seitdem kam ihm vieles winzig und unbedeutend vor. Das Heim seiner Kindheit. Diese Straße. Brinkley Springs. Die Berge. Verdammt, der gesamte Staat West Virginia schien geschrumpft zu sein. Donny überlegte, warum das so sein mochte. War es nur eine Frage der Perspektive, dass er sich an diese Dinge durch die Augen eines Kindes erinnerte, sie nun jedoch als Mann betrachtete? Oder lag es daran, dass er den Rest der Welt kennengelernt hatte und wusste, wie groß sie war? Und wie klein im Vergleich dazu dieser winzige Abschnitt des Planeten? Oder lag es daran, dass er im Gegensatz zu den meisten Klassenkameraden und Freunden aus Kindertagen die Staatsgrenzen hinter sich gelassen und entdeckt hatte, dass dort unzählige Kulturen, Ansichten und Überzeugungen lockten, die sich gänzlich von denen unterschieden, mit denen sie groß geworden waren? Dass es andere Orte als Brinkley Springs gab, bevölkert von völlig anderen Menschen – die aber trotzdem dieselben Hoffnungen, Träume, Wünsche und Bedürfnisse hatten?
    Den Irak zum Beispiel.
    Donny kicherte. Es war ein freudloser, gehässiger Laut.
    Vermutlich stellte der Irak kein gutes Beispiel dar, obwohl er zugeben musste, dass sein zweiter Einsatz in der gottverlassenen Einöde des Landes erheblich besser verlaufen war als der erste. Bei seinem zweiten Einsatz hatte die viel geschmähte Truppenverstärkung funktioniert, und infolgedessen hatten er und der Rest seines Zugs wesentlich mehr Zeit damit verbracht, Umgang mit den Zivilisten zu pflegen, sich Filme anzusehen und in Camp Basra Videospiele zu spielen, als durch die Ebenen zu patrouillieren.
    Der erste Einsatz war
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