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Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Autoren: Brian Keene
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die Hölle gewesen – sie mussten von Haus zu Haus ziehen, nach Aufständischen suchen und wussten nie, wann auf sie geschossen wurde. Außerdem gestaltete es sich schwierig, die Aufständischen von der übrigen Bevölkerung zu unterscheiden. Sie mischten sich unter die braven Bürger. Im Irak sah jeder wie ein Zivilist aus, und alle – ob freundlich oder feindlich gesinnt – trugen Waffen bei sich. Nur weil eine Familie eine alte Kalaschnikow im Wohnzimmerschrank verstaute, konnte man sie noch lange nicht dem Feind zurechnen. Das wäre so gewesen, als verhafte man in Brinkley Springs jeden, der ein Jagdgewehr besaß. Aber selbst die Hausdurchsuchungen waren nicht so schlimm gewesen wie der Umgang mit Selbstmordattentätern und improvisierten Sprengkörpern, den sogenannten IEDs. Viele von Donnys Freunden hatten Arme, Beine oder Augen durch Explosionen verloren. In einer Minute hockten sie noch seelenruhig in einem Transporter und warteten auf den Einsatz, in der nächsten …
    Tja, was sollte man über ein Land sagen, in dem einem die Beine weggebombt werden konnten, während man eine Straße entlangfuhr?
    Am erstaunlichsten fand Donny, wie sehr er diese Zeit manchmal vermisste. Oh, nicht den Irak selbst. Der Irak war eine Kloake. Der Iran konnte den Irak ruhig in einer Nacht- und Nebelaktion angreifen und zu einem einzigen, riesigen Atomkrater bomben, damit hätte Donny kein Problem gehabt. Aber ihm fehlten seine Freunde. Seine Kameraden. Seine Brüder. Es war schon komisch: Donny hatte sechs Jahre beim Militär damit verbracht, die Tage im Kalender abzuhaken und die Minuten zu zählen, bis er wieder Zivilist war. Nun jedoch, zurück im bürgerlichen Leben, musste er ständig an seine Dienstzeit und die Männer zurückdenken, mit denen er gedient hatte.
    Einige hatten es nicht zurück nach Hause geschafft, zum Beispiel Tyler Henry aus York in Pennsylvania, der getötet wurde, als ihr Konvoi beim Durchqueren der Wüste auf eine IED stieß. Oder Will McCann aus Ohio, getötet von einem Heckenschützen in der sicheren Zone. Dann war da noch Don Bloom gewesen, ein Kerl aus dem Kuhkaff Trenton in New Jersey, der von den abtrünnigen Überresten der Fedajin Saddam Husseins gefangen genommen und gefoltert worden war. Nach seiner Befreiung strandete er irgendwo mit dem Vermerk »unerlaubt abwesend von der Truppe« in der Dienstakte.
    Niemand wusste über die genauen Umstände seines Verschwindens Bescheid. Die Gerüchteküche brodelte auf Hochtouren, und jede neue Theorie klang noch abenteuerlicher. Bloom habe sich in eine Irakerin verliebt und sei bei ihrer Familie untergetaucht. Er habe die Grenze nach Jordanien überquert und sei Schmuggler geworden oder verdiene in Syrien oder Iran mit dem Verkauf von Militärgeheimnissen ein kleines Vermögen. Andere behaupteten, der Kerl verdinge sich als Söldner für einen privaten Sicherheitsdienst oder schworen Stein und Bein, Bloom habe sich der Schwarzen Loge angeschlossen – jener okkulten, paramilitärischen Gruppierung, die nicht einmal existierte, aber trotzdem als feuchter Traum von Verschwörungstheoretikern durchs Internet geisterte. Eine Geschichte verrückter als die andere. Donny war ziemlich sicher, dass keine von ihnen stimmte.
    Er dachte oft an Henry, McCann und Bloom, aber noch häufiger dachte er an die Freunde, die es zurück in die Staaten geschafft hatten – und die wenigen, die immer noch im Irak stationiert waren und die restlichen Tage in ihren Kalendern abhakten. Er vermisste sie schrecklich und fragte sich, ob er je einen der Jungs wiedersehen würde. Sie hatten sich gegenseitig versprochen, in Verbindung zu bleiben. Aber diese Versprechen blieben auf der Strecke, als sie in die reale Welt zurückkehrten – eine Welt mit Familien, Ehefrauen, Kindern, Steuern, Jobs und Ratenzahlungen für Colleges und Hypotheken. Donnys reale Welt beschränkte sich auf Brinkley Springs, und in mancherlei Hinsicht hasste er die Stadt mehr, als er den Irak je gehasst hatte.
    Donny Osborne war 24 Jahre alt, fühlte sich aber wie 84.
    Abermals schaute er zum Haus hinüber. Sein Blick blieb am Verkaufsschild im Garten hängen. Die Tafel war neu – noch keine Woche alt –, trotzdem sah sie bereits genauso verwittert und heruntergekommen wie das Gebäude selbst aus. Die Immobilienmaklerin, eine Rothaarige namens Mallory Lau, hatte ihn, obwohl sie doppelt so alt wie er war, gnadenlos angebaggert und sich auch nicht davon beirren lassen, dass er ihre Avancen zurückwies.
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