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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau
Autoren: Robert Goolrick
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für ihn hätten. Dennoch waren ihre Leben und ihre Familien in einer Weise miteinander verknüpft, die er sich nicht einmal vorstellen konnte.
    Aber diese Frau hatte er nicht erwartet. Er war wütend. Er war verwirrt. Er hatte ihren Brief gelesen, bis er in seinen Händen auseinandergefallen war. Er hatte sich tausend Mal ihr Bild angeschaut. Jetzt war völlig klar, dass sie nicht die Frau auf dem Photo war, und er hatte keine Ahnung, wer sie sein könnte. Seine Beziehung zu jedem Einzelnen in der Stadt basierte auf der Tatsache, dass er alles, was ihm widerfuhr, völlig unter Kontrolle hatte. Und jetzt diese wilde Geschichte. Der verspätete Zug. Der blendende Schnee. Diese Frau.
    Es war ein Fehler. Er spürte das in seiner Magengrube, alles war falsch, der Brief, das Photo, seine närrische Hoffnung. Es war ein Fehler gewesen, Wünsche zu haben, Sehnsucht zu empfinden, aber er hatte es nun mal, er hatte sich etwas für sich selbst gewünscht. Jetzt war das Objekt seiner Begierde hier, und es war alles und nichts von dem, was er sich gewünscht hatte.
    Er hatte eine einfache, ehrliche Frau gewollt. Ein stilles Leben. Ein Leben, in dem alles behütet werden konnte und niemand verrückt wurde.
    Er konnte sie jetzt nicht wegschicken, sie im Schneesturm stehen lassen. Man durfte ihn nicht dabei sehen, wie er sie stehen ließ. Es würde Gerede geben. Er würde als Unmensch erscheinen. Also würde er sie vor dem Sturm beschützen, ihr eine oder zwei Nächte Unterschlupf gewähren, mehr nicht. Ihre Schönheit irritierte ihn am meisten, sie war so unerwartet, die Süße ihrer Stimme, die zarten Knochen ihrer Hand, als er ihr in die Kutsche half. Wer war dann die Frau auf dem Photo? Es irritierte ihn, so sehr, dass er die Pferde hart rannahm und ihr nicht ins Gesicht sah.
    Â»Ich habe ein Automobil«, sagte er völlig grundlos. »Es ist das einzige in der Stadt.«
    Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.
    Â»Im Schnee taugt es nichts.«
    Ich bin in der Wildnis, dachte sie. Allein unter Barbaren.
    Sie verließen jetzt die Stadt, und die Pferde waren im Wind scheu. Er war nie grob zu ihnen, und jetzt spürte er ihre Anspannung. Sie wollten nur einfach ihr Ziel erreichen.
    Durch den Schnee sah Catherine die endlosen flachen Felder auf der einen Seite und auf der anderen einen breiten Fluss, der vom Eis blockiert war. So öde und verlassen.
    Sie dachte an die Lichter der Stadt, an die endlose Geschäftigkeit, die Bierhallen, die an den verschneiten Abenden erleuchtet waren, an die Musik, an das Gelächter und die Mädchen, die sich ihre Hüte feststeckten und auf der Suche nach einem Abenteuer nach draußen eilten. Die Mädchen würden vor warmen Kaminfeuern mit Männern lachen, die ihnen Liebesbriefe geschrieben hatten. Sie würden Roastbeef essen und Champagner trinken und immer in Eile sein, die Kleider bis zu ihren Knien hochgezogen, während sie durch den Schnee liefen, die lachenden Mädchen, die von der Wärme der Spieltische, der Kamine, der Musik und der Gesellschaft angezogen wurden.
    Hier draußen, wo sie die Lichter der Stadt hinter sich gelassen hatten, erklang kein Laut. Da war nichts außer ihnen und ihrer Kutsche, deren Lampenlicht auf der Straße glänzte.
    Der Fluss sah hart aus wie Eisen.
    Sie sah die Music-Hall-Mädchen vor sich. Die Männer mit den Kartenspielen in der Hosentasche und den Revolvern im Stiefel. Sie stellte sich die Süße der trägen Luft in den Opiumhöhlen vor, die warm war, wenn die Nacht zu kalt war, um sich zu bewegen, und den Chinesen, der einen mit Tee weckte, wenn der Sturm vorüber war oder der Morgen graute oder alles Geld weg war. Die Straßenbahnen fuhren schon und brachten die Menschen, normale Menschen, zur Arbeit. Und die Mädchen lachten dann und wussten, wie kaputt sie aussahen.
    Eine Million Kilometer entfernt. In einem anderen Leben, in einer anderen Nacht, eine Million Kilometer an dem schwarz glänzenden Fluss entlang zur hell leuchtenden, lärmenden Stadt. Ihre Freundinnen waren schon für den Abend zurechtgemacht und suchten die Hitze, während die Musik sie und ihre schönen Kleider überströmte, und lachten über ihre Torheit. Sie war für sie schon ein Teil der Vergangenheit. Sie hatten keine Erinnerungen.
    Der Hirsch tauchte aus dem Nichts auf, rannte vor, machte einen panischen Satz und war einen Augenblick später
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