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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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seinem Wohnzimmer stand, spielte er ein Spiel, das außer ihm niemand kannte. Er stellte sich vor, dass seine Frau Elise in dem hohen Sessel am Fenster saß und ihm zuflüsterte, ›Geh du schon mal schlafen, ich komme gleich nach‹. Aber es war schon sehr lange her, dass sie in dem hohen Sessel gesessen hatte. Elise war an Krebs gestorben, er war früh Witwer geworden, und sein Leben war so ganz anders verlaufen, als er sich das vorgestellt hatte. Er hatte lange gebraucht, um eine neue Richtung einzuschlagen, um einen anderen Weg durch das Leben zu finden. Aber das ergeht ja vielen Menschen so, dachte er. Der Hund Frank folgte ihm von Zimmer zu Zimmer. Er war langsam und bedächtig, so wie Sejer selbst, strahlte eine elegante Unnahbarkeit aus. Als es schließlich in der ganzen Wohnung dunkel war, trottete Frank auf seinen etwas zu kurzen Beinen ins Schlafzimmer und legte sich auf den Bettvorleger. Da lag er dann die ganze Nacht und bewachte seinen Herrn, mit einer Wachsamkeit, wie sie nur chinesische Kampfhunde besitzen. Sejer blieb in der Wohnung stehen und lauschte. Er meinte, ein entferntes Dröhnen zu hören. Das könnte der Fahrstuhl sein, überlegte er, aber es war eigentlich viel zu spät, und um diese Zeit, gegen Mitternacht, passierte nicht mehr viel in seinem Wohnblock. Dann fiel ihm ein, dass Elna von gegenüber abends oft lange arbeitete. Sie putzte im Nobelviertel Aker Brygge und hatte lange, harte Arbeitstage. Sejer ging ins Schlafzimmer und öffnete sein weißes Hemd am Hals. Und in diesem Moment klingelte es an der Tür. Frank sprang sofort auf, jagte durch den Flur, setzte sich vor die Tür und fiepte, übernahm augenblicklich die Rolle des Grenzpostens. Sejer musste sofort an seine Tochter Ingrid denken, an Matteus, vielleicht war etwas passiert und sie brauchten seine Hilfe. Aber sie hätten doch angerufen. Er zögerte zwei Sekunden lang. Aber natürlich öffnete er die Tür, da benötigte jemand seine Hilfe und er wollte gerne behilflich sein, so war er nun einmal veranlagt. Draußen stand aber niemand. Vor ihm erstreckte sich nur das leere Treppenhaus mit den grauen Mauern, einem Sicherheitskasten mit Axt an der Wand und einem schmiedeeisernen Treppengeländer. Er hörte, wie der Fahrstuhl sich wieder nach unten bewegte, folgte dem orangen Licht mit den Augen. Dann bemerkte er, dass etwas auf seiner Fußmatte lag. Und zwar ein kleiner grauer Briefumschlag. Er riss ihn an sich, warf die Tür zu und lief zum Wohnzimmerfenster, dort blieb er stehen und wartete. Ungefähr eine Minute später sah er eine Gestalt, die über den Parkplatz lief, jung, dachte er, und sehr schnell. Ziemlich sicher ein Mann. Schmächtig gebaut. Unter vierzig, vermutlich unter dreißig. Sejer war sicher, dass dieser wegrennende Mann den Umschlag auf seine Fußmatte gelegt hatte. Er ging in die Küche und schaltete das Licht wieder an. Musterte den Briefumschlag. Er war aus Recyclingpapier, C 5, ohne Absender. Er zog die Küchenschublade auf, zog ein scharfes Messer hervor und schlitzte den Umschlag auf. Darin befand sich eine Postkarte mit der Darstellung eines Tieres. Es war ein braunschwarzes Tier mit langem, buschigem Schwanz. Er hob die Postkarte sehr vorsichtig hoch, drehte sie um und las auf der Rückseite:
    »Norwegische Raubtiere. Vielfraß. Foto: Göran Jansson.«
    Danach las er die kurze Mitteilung.
    Jetzt beginnt die Hölle auf Erden.
    Er sah hinunter zu Frank, der ihm wie ein Schatten gefolgt war.
    »Ein Vielfraß«, sagte Sejer. »Ich muss schon sagen.«
    Er löschte das Licht in der Küche. Der Hund trottete zurück ins Schlafzimmer und legte sich wieder neben das Bett. Sejer lehnte die Karte gegen seine Nachttischlampe.
    Er lag noch ziemlich lange wach und starrte den Vielfraß an. Mein Gesicht war im Fernsehen, dachte er, bei drei Sendern.
    Mein Name war unten links zu lesen.
    Kein Problem, mich ausfindig zu machen.
    Ich stehe im Telefonbuch. Schließlich schaltete er auch die Nachttischlampe aus. Er dachte an die kleine Margrete und an alles, was passiert war, und an das, was vielleicht noch passieren würde.
    Jetzt beginnt die Hölle auf Erden.
    D ie Mutter hatte den ganzen Tag lang getrunken, jetzt lag sie auf dem Sofa und schlief. Ihr Mund stand offen. Er konnte ihren bleichen, trockenen Gaumen sehen. Sie trug nur einen Bademantel aus einem schwarzen, glatten, seidenähnlichen Stoff, der sich vorn etwas geöffnet hatte, so dass er ihre eine Brust sehen konnte.
    Die braune Warze erinnerte ihn an einen
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