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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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Schulhof viel allein, wurde gemieden. Das waren schwere Jahre. Und jetzt das, Schwanensee«, sagte er. »Und zwar der Prinz. Aber um diesen Knochen streiten sich viele. Kommt Zeit, kommt Rat. Und ich will dir damit jetzt auch nicht weiter auf die Nerven gehen.«
    Er bereitete sich innerlich auf die Begegnung mit der Presse vor. Streckte den Rücken durch und überprüfte den Sitz seiner Krawatte.
    »Du musst an die vielen weißen Schwanenmädchen denken, was?«, neckte ihn Skarre. »In Federn und Tüll. Und dann hast du Angst, dass Matteus dazwischen zu sehr auffällt. Aber sogar Schwäne gibt es in einer schwarzen Ausgabe«, sagte er.
    »Ach, echt?«, fragte der Hauptkommissar.
    »Neben der Kathedrale von Palma gibt es einen Teich mit schwarzen Schwänen«, erklärte Skarre. »Sie sind viel schöner als die weißen. Außerdem sind sie seltener«, fügte er hinzu.
    Mit kraftvollen Schritten ging Sejer auf die Presseleute zu.
    Skarres Bemerkung hatte ihn erleichtert.
    Den Abend verbrachte er vor dem Fernseher.
    In einem gemütlichen Sessel am Fenster, mit einem Kissen im Rücken.
    Sein Hund, ein chinesischer Shar-Pei, den er Frank nannte, hatte sich zu seinen Füßen niedergelassen. Er war wie die meisten Chinesen: würdevoll, unnahbar und geduldig. Frank hatte winzigkleine, sehr enganliegende Ohren, weshalb er nur schlecht hörte, und war gehüllt in sehr viel graues, runzliges Fell, das ihn wie einen Putzlappen aussehen ließ. Tief verborgen in den Hautfalten lagen seine Augen, schwarz und durchdringend, allerdings mit begrenzter Sicht. Der Fall des Säuglings aus Bjerketun wurde in den Medien gehörig ausgeschlachtet. Das liegt wohl an der Dramatik, dachte Sejer, und der Dreistigkeit. Die Leute sind einfach außer sich vor Empörung. Und das wollte der Täter wahrscheinlich auch erreichen.
    Er blieb lange vor dem Fernseher sitzen. Zuerst sah er sich selbst in einer Sendung auf TV Norge. Danach in den Nachrichten um sieben und am Ende noch einmal in denen um elf. Er wiederholte in jeder Sendung dieselben Worte.
    » Wir nehmen diese Angelegenheit sehr ernst.«
    Sein Name und sein Rang ›Hauptkommissar‹ standen links unten auf dem Bildschirm. Er sah seinen Auftritt mit gemischten Gefühlen. Er bemerkte, dass die Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten, er war grauer und markanter und um einiges magerer geworden. Wangenknochen und Kiefer traten deutlich vor, die schiefergrauen Augen lagen tiefer. Unwillkürlich musste er an den Tod denken, der von innen wuchs und langsam seine Gesichtszüge übernahm. Hier komme ich. Der Totenschädel.
    Er bückte sich und streichelte Franks Kopf. Er verdrängte die düsteren Gedanken. Dachte an seinen Enkel, Matteus, den Balletttänzer. Traumähnliche Bilder aus Schwanensee, das er ein paarmal im Fernsehen gesehen hatte, flimmerten vor seinem inneren Auge vorbei. Die kleinen Ballettmädchen mit Federn auf dem Kopf hüpfend, die wehmütige Musik. Ein schwarzer Siegfried. Naja, dachte er danach. Wenn er als Tänzer gut genug ist, wird er die Rolle bekommen. So läuft das doch. Es gibt Gerechtigkeit auf dieser Welt, jedenfalls in unserem Teil der Welt. Wir können uns das leisten, denn Gerechtigkeit kostet viel Geld. Es gibt Menschen, die bekommen, was sie verdienen. Mehrere Jahre im Gefängnis, wenn sie üble Verbrechen begangen haben. Oder die Rolle des Prinzen in Schwanensee, auf der Hauptbühne der Oper, wenn sie ungewöhnlich gute Tänzer sind. Und das war er, sein Enkel Matteus. Zumindest vertrat Sejer die Ansicht, dass der Junge ungewöhnlich gut sei. Schwarz, stark und exotisch, voller Todesverachtung und mitreißend gut. Sejer blieb eine ganze Weile im Sessel sitzen und ruhte sich aus. Den Kopf gegen den Sesselrücken gelehnt, die Hände auf den Armlehnen. Seine Gedanken kreisten um die kleine Margrete Sundelin. Jemand hat das ganz genau geplant, dachte er, und die Eltern innerhalb von wenigen Sekunden in eine furchterregende Lage gebracht. Eine Erschütterung, die sie bis in ihr tiefstes Inneres gespürt haben, die sie niemals vergessen werden. Aber warum Margrete, warum das Ehepaar Sundelin?
    Gegen Mitternacht stand er auf und löschte das Licht. Zuerst im Fernsehzimmer, danach im Esszimmer, in Küche und Bad. Reglos blieb er eine Weile in der Wohnung stehen und musterte die Umrisse der schweren Eichenmöbel. Die stammten von seinen Eltern. Sie erinnerten ihn an geduldige alte Freunde, die immer schon dort gestanden hatten. Manchmal, wenn er so allein in der Dunkelheit in
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