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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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kleinen trockenen Kotkrümel.
    Er hieß Johnny Beskow und war nicht gerade ein Riese. Man hätte ihn sogar als Hänfling bezeichnen können. Aber er verfügte über ein grandioses Talent für Boshaftigkeiten, und das setzte er jetzt ein. Seine Augen waren kalt und klar, als er seine Mutter betrachtete. Er ließ seinem Ekel freien Lauf, denn dann spürte er sich und wusste, dass er wahrhaftig lebte, und das Blut konnte leichter durch seinen Körper strömen. Er starrte sie an, wie sie da auf dem Sofa lag, und spürte tiefe Verachtung. Diese Verachtung machte seinen Atem schwer und seinen Kopf heiß. Sie bezog sich auf ihr ganzes Wesen, wie sie war und wie sie aussah und wie sie sich verhielt. Ihre Geräusche, ihre Gerüche. Sie war mager und blass und sah verlebt aus, sie war ungepflegt, eine erbärmliche Erscheinung und versoffen. Er empfand großes Unbehagen bei dem Gedanken, dass er von ihr abstammte. Er konnte sich das fast nicht vorstellen, dass sie ihn vor vielen Jahren mit einem langen, röchelnden Schrei aus sich herausgepresst hatte. Ganz ohne Vorfreude und Begeisterung.
    Sie hatte lange dunkle Haare und blasse Haut. Die Adern waren gut zu sehen, ein grünes Netz zog sich über die Schläfen und Handrücken. Ihre Füße waren klein und schmal, die Haut an den Fersen zu dicken trockenen, grauweißen Krusten gewachsen.
    »Wo ist mein Vater?«, sagte er. »Los, sag es mir endlich.«
    Sie hörte ihn natürlich nicht, denn sie befand sich im Wodkarausch und würde noch viele Stunden dort bleiben. Erst spät am Abend würde sie sich endlich vom Sofa erheben, einige Male blinzeln und ihn verwundert ansehen. Als hätte sie vergessen, dass sie einen siebzehnjährigen Sohn hatte, der noch bei ihr wohnte.
    Johnny ließ den Blick zur Wand wandern. Dort hing ein Schwarzweißfoto seiner Mutter, auf dem sie jung war. Immer, wenn er dieses Bild ansah und dann mit der Frau auf dem Sofa verglich, fragte er sich, was aus der anderen geworden war? Die da an der Wand hing und lachte, mit funkelnden Augen?
    Er hat immer wieder nach seinem Vater gefragt.
    »Wo ist er?«, quengelte er. »Wo ist mein Vater? Ist er im Ausland?«
    »Dein Vater?«, sagte sie dann mit einer Stimme voller Bitterkeit. »Jetzt nerv doch nicht immer so rum. Der ist über alle Berge.«
    Johnny stellte sich alle Berge vor. Ein Mann, der über einen mit Gras bewachsenen Hang läuft, um dann im Tal zu verschwinden und auf dem nächsten Hügelkamm wieder aufzutauchen. So lief er immer tiefer in die Landschaft hinein, von Hügel zu Hügel, über Berge und Täler, bis er nicht mehr zu sehen war.
    Regungslos saß er im Sessel. Unentwegt starrte er seine Mutter mit kaltem Blick an. Oder, dieses Bild gefiel ihm besser: Ich sehe sie mit den Augen eines Fisches an. Wenn ich das will, werde ich dich schon wach bekommen, dachte er. Eines Tages, wenn die Grenze erreicht ist, werde ich dich ganz schnell aufwachen lassen. Und du wirst vom Sofa springen und schreien und dir an den Kopf fassen. Ich könnte dir einen Kessel mit kochendem Wasser ins Gesicht schütten. Oder, noch besser mit kochendem Schmalz. Das ist noch effektiver. Das Schmalz brennt viel länger auf der Haut, es verdampft nicht wie Wasser. Aber vielleicht haben wir gar kein Schmalz, fiel ihm da ein. Er stand auf und ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank. In der Tür stand eine Flasche Speiseöl, damit würde es bestimmt auch gehen. Wenn er dann eines schönen Tages wollte, dass sie vom Sofa aufsprang, und er ihr ein für alle mal sagen würde, was Sache war. Denn ich habe schließlich auch eine Schmerzgrenze, dachte er, und wenn sie die immer wieder überschreitet, dann wird sie es zu spüren bekommen. Herrgott, sie wird es zu spüren bekommen.
    Er ging zurück ins Wohnzimmer und stellte sich ans Fenster. Sah hinunter in den Hof. Bei niemandem herrscht so ein Chaos wie bei uns, ging ihm durch den Kopf. Die Nachbarn reden über uns, dass da nebenan diese Schlampe mit dem dürren Jungen haust. Im Hof lagen mehrere vollgestopfte Müllsäcke und alte Farbeimer. Eine rostige Schubkarre voller Regenwasser, ein Holzstapel unter einer schwarzen Plane, Gestrüpp und Unkraut, die sich an der Hausmauer entlang fraßen, mit einer Kraft, die man nur in der Natur antraf. Das verkommene Haus, das langsam verrottete. Weiter hinten, neben der Treppe, stand seine rote Suzuki Estilete. Er ging zurück zum Sessel und setzte sich. Er versuchte, sich seinen Vater vorzustellen, den Mann, den sie ihm nicht zeigen wollte. Wenn
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