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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
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Schraubenzieher aus der Hand, und im nächsten Augenblick war er spurlos verschwunden.
     
    Es muss ein eigentümliches Bild gewesen sein, wie wir da in dem dunklen Tunnel vor dem metallenen Spulenring standen. Wie Tiger vor dem Feuerreif, nur ohne Feuer. Innerhalb einer Viertelstunde waren wir sämtliche Schraubenzieher losgeworden, Konrads letzte Packung Zigaretten und alle Dichtringe, die wir dabeigehabt hatten. »Wir müssen allmählich damit aufhören, sonst kommen wir dem Materiallager gegenüber in Erklärungsnot«, meinte Konrad schließlich.
    Ich grübelte noch immer über dem rätselhaften Effekt. Die Idee, es mit Dichtringen und Zigaretten zu versuchen, war von mir gekommen. »Man müsste etwas riechen, wenn die Gegenstände verdampfen würden, richtig? Tabakrauch oder verbrannten Gummi. Das würde man riechen.«
    Konrad schüttelte den Kopf. Er hatte das Messgerät die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. »Es kann auch nicht sein. Der Stromverbrauch ist konstant 2,907 Watt. Konstant! Das ist nicht genug Energie, um auch nur einen Mückenflügel zu verdampfen. Von einem massiven 16-Millimeter-Chrom-Vanadium-Schraubenzieher ganz zu schweigen.« Er sah auf und schaute mich mit seinen großen Augen an, die durch seine starke Brille ins Unnatürliche vergrößert wurden. »Jens«, sagte er mit jener Art Klang in der Stimme, die man sich für weltbewegende Momente aufsparen sollte, »dafür gibt es nur eine Erklärung.«
    »Genau«, sagte ich.
    »Ein Quanteneffekt«, sagte Konrad.
    »In makroskopischen Größenordnungen«, nickte ich. Offenbar war uns der gleiche Gedanke zur gleichen Zeit gekommen. »Das heißt, die Gegenstände verschwinden tatsächlich.«
    »Ja. Sie verschwinden in einem … ich weiß nicht, in irgendeinem anderen Elementarzustand vielleicht.«
    Ich betrachtete den stillen, düsteren Stahlwurm des Beschleunigers und dann das matt schimmernde Feld in dem Spulenring am Greifarm der Hebevorrichtung. »Kein Wunder, dass kein Elektron in der Versuchskammer angekommen ist. Sie sind alle hier drin verschwunden.«
    Konrad strich sich die Haare zurecht, als erwarte er jeden Moment Pressefotografen ums Eck biegen. »Das wird uns den Nobelpreis einbringen«, meinte er. »Ruhm und Ehre. Einen Platz in den Annalen der Wissenschaft.« Er sah mich an, unnatürlich bleich, selbst wenn man das schlechte Licht da unten in Rechnung stellte. »Man wird Universitäten nach uns benennen, wenn wir es jetzt nicht versauen, Jens.«
    Ich erwiderte seinen Blick und überlegte, wie ich es ihm beibringen sollte. »Langsam«, sagte ich. »Vielleicht weiß ich noch etwas Besseres.«
     
    Man muss das richtig verstehen. Es war ja keine wissenschaftliche Entdeckung, die wir da gemacht hatten – es war Zufall. Wir hatten keine Ahnung, auf was wir da gestoßen waren. Wir hätten uns lächerlich gemacht, wenn wir damit an die Öffentlichkeit gegangen wären. Was hätten wir schreiben sollen? »Wir haben ein Feld gefunden, das Gegenstände verschwinden lässt – aber wir haben keine Ahnung, wohin sie verschwinden, wir haben keine Ahnung, wie es funktioniert, und wir haben keine Ahnung, wie das Feld entstanden ist?« Unmöglich. Also hielten wir unseren Mund und versteckten die Spule mit dem Feld, um erst einmal mehr darüber herauszufinden.
    Natürlich haben wir uns gehütet, den Strom abzuschalten. Womöglich wäre das Feld kein zweites Mal aufgetaucht. Wir schafften den Spulenring mitsamt der Batterie unseres Elektromobils in einen unbenutzten Kellerraum, und ein paar Tage später schloss ich sicherheitshalber eine weitere Batterie an.
    Das ist jetzt über dreißig Jahre her. Das Feld ist noch da, weil wir den Strom nie abgeschaltet haben, die ganze Zeit nicht.
    Es ist uns nämlich nie gelungen, ein zweites Feld zu erzeugen.
     
    Nach und nach wurde uns klar, dass wir mit den Messinstrumenten, die sich auftreiben ließen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte, und den paar Stunden am Abend, die wir erübrigen konnten, nicht weit kommen würden. Wir mussten die Sache größer aufziehen.
    Mit anderen Worten, wir brauchten Geld.
    Der Einzige, den ich kannte, der Geld ohne Ende hatte, war mein Bruder. Wir schmuggelten ihn eines späten Abends an allen Sicherheitsleuten vorbei ins Institut und hinab in unseren Keller. Dort zeigten wir ihm den Ring, der wenig eindrucksvoll auf fünf alten Holzböcken lag und vor sich hin glomm. Wir konnten Dieter nur mit Mühe davon abhalten, mit der bloßen Hand in das Feld zu fassen.
    »Jetzt
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