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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
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übertreib mal nicht so maßlos«, meinte er, nachdem ich seinen Zeigefinger vor dem Schlimmsten bewahrt hatte.
    »Ich übertreibe nicht.« Ich drückte ihm ein Abfallstück in die Hand, das ich aus der Werkstatt mitgenommen hatte.
    »Aha«, meinte Dieter mit Kennerblick. »Stahl. St-50, würde ich sagen. Fünfhundert Gramm, geschätzter Altmetallwert –«
    »Steck es in das Feld«, sagte ich.
    »Was für ein Feld?«
    »Na, das, was da in der Ringspule so lustig schimmert. Du wolltest es gerade anfassen.«
    Dieter sah mich skeptisch an. »Und was passiert dann? Kriege ich einen elektrischen Schlag?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ehrlich nicht. Lass es einfach hineinfallen.«
    Er tat wie geheißen, was angesichts des Standes unserer geschwisterlichen Beziehung schon allerhand war. Und wie viele andere Gegenstände vor ihm, verschwand auch der Stahlbolzen, anstatt auf dem Boden unterhalb des Feldes aufzuschlagen.
    Dieter zeigte Anzeichen gelinder Verblüffung. »Cool«, räumte er ein. »Echt cool. Und? Sag schon. Was ist der Trick dabei?«
    »Das ist kein Trick«, sagte ich.
    »Aber die Stahlstange? Wo ist sie hin?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ins Innere der Sonne? Ins Zentrum der Milchstraße? Wir wissen es nicht.«
    »Wir würden es allerdings gerne herausfinden«, fügte Konrad hinzu, dem mein Bruder deutlich mehr Respekt einflößte, als Dieter verdient hatte.
    »Ja«, sagte ich. »Und dazu brauchen wir deine Hilfe.«
    »Meine Hilfe?« Schlagartig hatte Dieter wieder seinen normalen geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck täuschender Einfalt aufgesetzt. »Ich verstehe aber von solchen Sachen überhaupt nichts.«
    »Wir stellen uns das so vor«, erklärte ich ihm den Deal, den wir anzubieten hatten. »Du finanzierst ein kleines, feines, privates Forschungsinstitut, in dem wir dieses Feld erforschen. Dafür bekommst du eine Option auf eventuelle geschäftliche Nutzungsmöglichkeiten.«
    »Wofür hältst du mich? Für einen Geldscheißer?«, versetzte Dieter ärgerlich. Er betrachtete die Ringspule und das Feld mit äußerster Skepsis. »Wer sagt mir, dass das kein Trick ist? So ein David-Copperfield-Ding, mit dem ihr mich über’n Tisch ziehen wollt?«
    Er begann, mich zu nerven. Ich streckte die Hand aus und sagte: »Gib mir mal dein Handy.«
    Dieter zögerte, langte dann aber doch in die Tasche. »Hier.«
    »Angeschaltet bitte.«
    Er gab seinen PIN-Code ein und reichte es mir dann. »Und jetzt?«
    »Deine Handynummer weißt du auswendig, oder?«
    »Klar.«
    »Fein«, sagte ich und ließ das Gerät in das Feld fallen. Choh! machte es, und weg war es.
    »Hey?!«, schrie Dieter auf. »Bist du wahnsinnig? Weißt du, was das gekostet hat?«
    »Null Komma nix, wie ich dich kenne«, erwiderte ich und reichte ihm mein eigenes Telefon. »Bitte schön. Ruf es doch mal an, dein Handy.«
    »Wie bitte?« Er nahm das Gerät, das ich ihm hinstreckte, begriff aber überhaupt nichts.
    »Tu es einfach«, sagte ich.
    Er tat es. Wählte die Nummer, und das Nächste, was er hörte – was wir alle hörten –, waren die üblichen drei Töne und die Ansage, die immer kommt, wenn ein Mobiltelefon gerade nicht am Netz ist.
    »Ich hätte gedacht«, fuhr ich fort, »dass eine Möglichkeit, Dinge spurlos verschwinden zu lassen, dich eigentlich brennend interessieren müsste. Oder?«
     
    Natürlich interessierte es ihn brennend. Das Agreement sah so aus: Tagsüber gehörte das Feld uns, nachts gehörte es ihm. Unser erstes Labor richteten wir im Keller eines dem Firmengelände meines Bruders unmittelbar benachbarten Gebäudes ein. Zu diesem Gebäude existierte ein unterirdischer Verbindungsgang, der laut offiziellen Unterlagen nicht existierte, und ab Einbruch der Dunkelheit karrten seine Leute auf diesem Wege all das heran, was Geld brachte, wenn man es verschwinden ließ: Dichlormethan, Quecksilberverbindungen, Altröntgenfilme, Chromschwefelsäurereste und Ammoniumdichromat. Ich lernte, dass ein Standard-Behälter Amershan Typ P blau ist und sechzig Liter wässrige langlebige Radionukleide aufnehmen kann.
    Und ich lernte, was man für seine fachgerechte Entsorgung in Rechnung stellen konnte.
    Einen wirklich erstaunlichen Betrag.
     
    Ein Jahr lang bissen wir uns die Zähne an dem Phänomen aus, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen. Wir erdachten alle möglichen Versuchsanordnungen, stellten Hunderte von Theorien auf, ließen Scharen von Computern rechnen und rechnen und verbuchten trotzdem nur Fehlschläge. Mehrmals
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