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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
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Betriebszustand, doch wenn die Anlage feuerte, kam kein einziges Elektron in der Versuchskammer an. Da wir in einer Trilliardstelsekunde ungefähr so viel Energie verheizten, wie eine Kleinstadt in einem ganzen Jahr verbraucht, war das ein nicht unbeträchtliches Ärgernis. Und von uns erwartete man, dass wir es aus der Welt schafften.
    »Schau mal«, meinte Konrad und klopfte gegen eine der Spulen. »Mit der stimmt doch was nicht, würde ich sagen.«
    Ich war seiner Meinung, ohne dass ich sagen könnte, warum. Eine Beschleunigerspule war eine etwa anderthalb Meter durchmessende, knapp sieben Zentimeter dicke Metallscheibe, die komplizierte Spulenwicklungen enthielt, Anschlüsse, Dichtungen und so weiter. Hintereinander gestapelt wie Brotscheiben im Beutel bildeten sie den Schusskanal des eigentlichen Beschleunigers. Das war ein neues Patent, das die Baukosten eines Teilchenbeschleunigers durch Serienfertigung enorm reduzierte. Einziger Nachteil war, dass immer mal wieder Spulen ausfielen und ausgetauscht werden mussten, was jedes Mal eine Schweinearbeit war.
    Die Spule, auf die Konrad gezeigt hatte, schimmerte seltsam. Natürlich erzeugten die müden Lampen an der Tunneldecke alle möglichen Reflexe auf dem Metall, aber im Lauf der Zeit lernte man, die Feinheiten zu unterscheiden. »Verzogen«, konstatierte ich grimmig. »Wahrscheinlich ist einer von der Putzkolonne mit dem Wagen dagegengerauscht und hat schön fein den Mund gehalten.« Ich griff nach dem Werkzeugkasten. »Also, raus damit.«
    Wir gaben Bescheid, dass wir einen Austausch vornehmen würden, und machten uns an die Arbeit. Oben ließen sie nach unserem Anruf wahrscheinlich die Stifte fallen und verabredeten sich in die Biergärten, denn damit war der Tag gelaufen. Allein bis der Schusskanal, in dem natürlich normalerweise Vakuum herrschte, mit Luft geflutet war, vergingen anderthalb Stunden. Das wäre zwar auch schneller gegangen, aber dann hätte sich die einströmende Luft zu stark abgekühlt und eventuell andere Bauteile beschädigt. Das Vakuum wieder herzustellen schließlich dauerte gut und gerne die ganze Nacht.
    Wir nutzten die Zeit, um eine Austauschspule aus dem nächsten Lager zu holen und durchzuchecken. Doch als wir endlich so weit waren, die verdächtige Spule herauszunehmen, ging es nicht. Sie schien regelrecht festzukleben, gab nicht einen Millimeter nach.
    »Restmagnetismus«, diagnostizierte Konrad. Das war kein seltenes Problem. Spulen wurden im Betrieb manchmal magnetisch, und dann hingen sie so fest an ihren Nachbarn, dass man sie mechanisch nicht entfernen konnte, ohne die gesamte Konstruktion des Beschleunigers zu beschädigen. Vom nötigen Kraftaufwand ganz zu schweigen.
    Das war einer der seltenen Fälle, in denen einen Köpfchen weiter brachte als schiere Kraft. Denn alles, was man zu tun hatte, war, elektrischen Strom so in die Spulenwicklungen zu leiten, dass eine eventuelle Restmagnetisierung durch ein entgegengesetzt gerichtetes Magnetfeld unwirksam gemacht wurde. Unser Elektromobil verfügte eigens für diesen Zweck über Anschlusskabel und eine fein regelbare Stromversorgung. Wir schlossen also die Spule an die Batterie an, trennten sie vom restlichen Stromkreis und regelten den Strom so weit hoch, dass wir sie mit dem Heber des Wagens problemlos heraushieven konnten.
    Zu unserer grenzenlosen Überraschung fanden wir das Innere der Spule erfüllt von etwas, das aussah wie die Haut einer großen Seifenblase. Es schimmerte so eigenartig, dass wir respektvoll Abstand hielten.
    »Was ist denn das?«, murmelte Konrad.
    »Vielleicht ein Hochspannungsphänomen?«, war meine Hypothese. Extrem hohe Spannungen, wie sie in einem Teilchenbeschleuniger zum Alltag gehören, können überaus merkwürdige Effekte hervorrufen. Es ging damals das Gerücht um, in einer japanischen Anlage sei ein Kugelblitz entstanden und habe vier Wissenschaftler getötet.
    Konrad konsultierte die Messgeräte. »Kann ich mir nicht vorstellen. Ein Hochspannungsphänomen, das man mit Gleichstrom am Leben halten kann? Aus Batterien? Und der Stromverbrauch liegt nur bei drei Watt. Da verbraucht ja mein Radiowecker mehr.«
    Ich griff nach einem der Schraubenzieher mit isoliertem Griff. »Dann wollen wir mal«, sagte ich, oder so etwas Ähnliches, und piekste damit auf das eigentümliche … Feld ein.
    In dem Moment, in dem ich das blasenartige Etwas mit der Spitze berührte, gab es ein Geräusch, als atme jemand ein, eine unwiderstehliche Kraft riss mir den
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