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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
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die Auswahl ist nicht sehr groß, da nur wenige Säugetierarten den Untergang der Menschen überlebt haben«, sagte die Parkführerin. »Wir verwenden Eizellen von Ratten.«
    Peria-230767 nickte. Das hatte auch in dem Prospekt gestanden. Und auch, dass man vermutete, bei den Ratten habe es sich um eine mit den Menschen konkurrierende Lebensform gehandelt.
    »Sie werden wahrscheinlich wissen wollen, woher wir unsere menschliche Erbsubstanz bekommen.« Die Führerin deutete auf einen großen gelben, transparenten Stein, der, in Metallringe eingefasst, hinter ihr an der Wand hing. »Hieraus. Aus Bernstein – dem versteinerten Harz prähistorischer Bäume.«
    Ein Raunen ging durch die Zuhörerschaft, obwohl diese Tatsache sicherlich keinem der Anwesenden mehr unbekannt sein konnte.
    »Baumsaft«, erläuterte die Parkführerin, »tropft häufig auf Insekten und schließt diese ein. Dadurch bleiben sie in der Versteinerung vollständig erhalten. Wenn es sich bei dem eingeschlossenen Tier um ein stechendes Insekt gehandelt hat, besteht die Möglichkeit, dass es kurz vor seinem Tod einen Menschen gestochen hat und folglich noch dessen Blut in sich trägt.« Auf einem Monitor sah man, wie unter einem Mikroskop eine lange Nadel durch den Bernstein getrieben wurde und in den Brustkorb einer prähistorischen Mücke stach. »Doch man muss noch mehr Glück haben, denn da die roten Blutkörperchen eines Säugetiers, wie es die Menschen waren, keinen Zellkern und daher auch keine Erbsubstanz enthalten, mussten wir die viel selteneren weißen Blutkörperchen suchen, die einen Zellkern besitzen. Das ist uns geglückt. Es war eine lange, mühevolle Arbeit. Dass sie sich gelohnt hat, davon werden Sie sich auf Ihrer Rundfahrt durch den MENSCHEN-PARK nun gleich mit eigenen Augen überzeugen können.« Die Panoramabahn fuhr vollautomatisch gesteuert, immer zwischen den Gehegen der einzelnen Menschengruppen hindurch. Die Kinder gerieten ganz aus dem Nestchen, als sie die ersten Menschen sahen.
    »Schaut nur, sie haben sich Kleider gemacht!«, rief Ela-006133 begeistert. »Sie müssen intelligent sein.«
    »Ja«, meinte Peria-230767 wohlwollend. »Nach allem, was die Wissenschaft weiß, müssen sie eine fast spinnenähnliche Intelligenz besessen haben.«
    Sie fuhren an einem Menschen vorbei, der schlafend im Gras lag. Als die Wagen der Panoramabahn langsam an ihm vorüberzogen, öffnete er kurz die Augen, schaute eine Weile unschlüssig, aber nicht übermäßig interessiert herüber und wandte sich schließlich wieder ab.
    »Können die Menschen auch bestimmt nicht ausbrechen?«, vergewisserte sich Ela-006133 ängstlich.
    »Nein, Quatsch«, versetzte Loto-115341. »Die Schutzfelder sperren sie doch ein.«
    »Selbst wenn einige Menschen tatsächlich ausbrechen sollten, könnten sie nicht lange außerhalb des Parks überleben«, beruhigte Peria-230767 sie. »Die Schutzfelder schützen nämlich nicht nur uns vor den Menschen, sie schützen auch die Menschen vor der Sonnenstrahlung und vor vielen Bestandteilen der Luft, die sie nicht vertragen.«
    »Ehrlich?«, staunte Loto-115341. »Unsere Atemluft ist schlecht für sie?«
    »Ja. Unter den Feldern wird künstlich eine Atmosphäre erzeugt, wie sie vor Jahrmillionen auf der Erde geherrscht hat.«
    Die Panoramabahn erreichte ein anderes Gehege, in dem einige Menschen vor einem Baum standen, dessen Früchte sie pflückten und aßen. Auch sie schenkten den Besuchern nur beiläufig ihre Aufmerksamkeit.
    »Wisst ihr eigentlich, dass man die Menschen auch die Wegbereiter nennt?«, fragte Peria-230767 ihre Kinder. »Ohne sie gäbe es uns heute nicht.«
    »Ehrlich?«, staunten sie. »Warum?«
    »Damals, vor Jahrmillionen, als die Menschen die Erde bevölkerten, war diese Welt noch kalt und dunkel. Ein dichter Panzer aus dreiwertigem Sauerstoff, dem sogenannten Ozon, umschloss den Planeten und hielt die wertvollsten Bestandteile des Sonnenlichts davon ab, die Erdoberfläche zu erreichen. Es gab kaum wärmende Radioaktivität, und die Atmosphäre wäre für uns unerträglich gewesen, so hoch war die Sauerstoffkonzentration. Unsere Art hätte sich überhaupt nicht entwickeln können – hätte es nicht die Menschen gegeben, die den Planeten umgestalteten.«
    Die Menschengehege draußen waren vergessen. Die Kinder hingen wie gebannt an ihren Kieferfühlern. Peria-230767 nickte bedeutungsvoll und fuhr fort: »Wir wissen nicht sehr viel über die Zeit damals. Es muss eine sehr kurze Epoche gewesen sein, in
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