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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau
Autoren: Alan Burgess
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Engländerin in Not. Da muß etwas getan werden, nicht wahr? Nun gut, Sie können mitfahren. Hier sind ein paar Papiere, die Sie unterzeichnen müssen — das ist alles. Kommen Sie mit mir, wir werden eine Kabine für Sie suchen.«
    Sechs Stunden später — die Morgendämmerung glitt über die kahlen roten Berghänge des Goldenen Horns — steuerte der japanische Dampfer langsam dem offenen Ozean zu. Wladiwostok, eingehüllt in rauchigen Dunst, ließ er hinter sich. Gladys stand an der Reling. Müde, aber erleichtert sah sie zurück. Ihr war, als habe sie ein Menschenleben gebraucht, um dieses unendliche Rußland zu durchqueren. Aber jetzt sprang in ihr das Gefühl des Befreitseins auf wie ein Springbrunnen von klarem Wasser. Wer mochte nur das Mädchen gewesen sein, das ihr geholfen hatte? Und der Mann, der an ihre Tür klopfte? Beide würde sie nie mehr wiedersehen, das wußte sie; ihre Hilfe gehörte fortan als ungelöstes Rätsel zu ihrem Leben. Auch in Rußland waren die Menschen gut und böse wie überall auf der Welt. Gladys wünschte den beiden Unbekannten von Herzen Glück. Glück — ein reichliches Maß dieses schillernden, fragwürdigen Gutes war ihr zuteil geworden sie fühlte es mit tiefer Dankbarkeit.

3. Kapitel

    Drei Tage später drehten sie bei, um in den kleinen Hafen Tsurugoaka an der japanischen Ostküste einzufahren: ihren Bestimmungsort. Weiter südlich lag Kobe, und dort, so erklärte ihr der Kapitän, könnte sie ein Schiff nach China bekommen. Zunächst sollte sie aber noch an Bord bleiben, bis er Verbindung mit dem britischen Konsul oder dessen Vertreter aufgenommen hatte.
    So erschien denn also, bald nachdem sie angelegt hatten, ein ziemlich fassungsloser, aber außerordentlich höflicher junger Engländer vom Konsulat. Nachdem Gladys seine Fragen beantwortet hatte, fand er »alles überaus schwierig«.
    »Und was kann ich nun für Sie tun?« fragte er schließlich; man sah ihm an, daß er sich recht unbehaglich fühlte.
    »Mir genügt es, wenn ich erst einmal bis Kobe komme«, sagte Gladys fest. Seit ihren Abenteuern in der Sowjetrepublik hatte sie zu der Taktik Vertrauen gefaßt, ihre Erklärungen ohne viel Zutaten, aber oft und energisch zu wiederholen. Es hatte sich gezeigt, daß dann auch immer etwas geschah, das sie weiterbrachte.
    Dem jungen Mann war die Überraschung auf dem Gesicht abzulesen. »Dann werde ich Ihnen sofort eine Fahrkarte nach Kobe besorgen und Sie an den Zug bringen«, sagte er schnell. Und beide waren, wenn auch aus verschiedenen Gründen, voller Freude über die schnelle Lösung der »äußerst schwierigen Angelegenheit«. Als Gladys sich aus dem Abteilfenster lehnte, um sich bis zur Abfahrt mit ihm zu unterhalten, spürte sie noch immer, wie groß seine Erleichterung war. Sie wunderte sich fast, daß er ihr zum Abschied nicht tun den Hals fiel.
    Und wieder ratterten unter ihr die Räder. Von ihrem Fensterplatz aus sah sie die Landschaft vorübergleiten. Sie schien ihr schön und zart im Vergleich zu der großartigen, wilden Unordnung des Kontinents, den sie eben verlassen hatte.
    In der Ferne schimmerten hohe, schneebedeckte Berge, die an ihren Flanken in grüne Hänge und fruchtbare Felder übergingen. Gladys zur Linken schienen duftige Inseln auf dem blauen besonnten Meer zu schwimmen. Segelboote hoben sich als zierliche Silhouetten vom Glanz des Meeres und des Himmels ab. Sie kamen an schattigen Dörfern vorbei, deren Häuser mit Ziegeldächern gedeckt und mit Bannern und Flaggen geschmückt waren; in den Gärten blühten die Bäume purpurrot, Kinder spielten und schrien am Strand. Auf den Feldern stand der Reis in goldener Reife, jeder Halm tiefgebeugt unter der Last seiner Körner. An den Stationen stiegen schwatzende Japaner in hellen, sauberen Hemden und Kimonos eilig ein und aus.
    Es wollte ihr später nie gelingen, dieses Hebenswürdige, glückliche Volk in ihrer Vorstellung zu vereinen mit der gewalttätigen Soldateska, mit der sie noch allzu nahe, grauenhafte Bekanntschaft machen sollte.

    Im Missionshaus von Kobe wurde sie natürlich mit offenen Armen aufgenommen, und sie mußte erzählen, bis ihr die Augen zufielen, was allerdings schon sehr bald der Fall war! Nachdem sie in einer großen Holzwarme gebadet hatte — im japanischen Stil, sie wurde fast zu Tode gekocht —, durfte sie dann zum erstenmal seit ihrem Aufbruch von England eine Nacht ruhig und bequem durchschlafen.
    Drei Tage später stand sie an Deck eines kleinen japanischen Dampfers
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