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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau
Autoren: Alan Burgess
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Gesicht ist im Dunkeln kaum zu erkennen. Er winkt ihr und hält die Tür offen, während sie sich mit ihren Koffern schnell hindurchzwängt. Dann geht er voraus, und sie folgt ihm den Korridor entlang, die Treppe hinunter und vorbei an dem Empfangspult. Der Sekretär ist in seinem Stuhl beim Ofen eingenickt; von dem NKWD-Mann ist nichts zu sehen. Die Drehtür knarrt ein wenig, als sie hindurchgehen, und Gladys hat Schwierigkeiten mit ihrem Gepäck. Dann sind sie draußen in der kalten Nacht, und sie wandert tapfer hinter dem Fremden her. Die Straßen sind nicht beleuchtet, oft fallen sie fast über die Schlaglöcher. Als sie durch die dunklen Seitenstraßen hasten, glaubt sie die Nähe des Meeres zu spüren. Nun kann sie auch die Schatten der Dockanlagen erkennen. Dann wieder stolpern sie über Eisenbahnschienen, über die Aufschüttung der Gleise aus groben Steinen. Aus einem Winkel, in dem Fässer und Kisten gestapelt sind, taucht plötzlich eine menschliche Gestalt auf. Gladys erkennt das Mädchen und eilt ihr mit einem dankbaren Seufzer der Erleichterung entgegen.
    »Gut, daß Sie gekommen sind«, sagt die andere.
    »Was mache ich jetzt?« Ängstlich flüstert Gladys die Frage.
    »Sehen Sie das Schiff dort drüben?« Das Mädchen zeigt auf den schwarzen Rumpf eines Dampfers, der sich hinter den nächtlichen Schuppen und Kränen abhebt.
    »Ja.«
    »Es ist ein japanisches Schiff. Morgen ganz früh geht es in See. Sie müssen mit.«
    »Aber Japan! Ich habe kein Geld...«, entgegnet Gladys unglücklich.
    »Sie finden den Kapitän in dem kleinen Häuschen dort drüben. Sie müssen zu ihm gehen. Bestürmen sie ihn mit Bitten. Sagen Sie ihm, daß Sie in größter Not sind. Sie müssen mit diesem Schiff fort...«
    »Gut. Ich will’s versuchen.« Zweifel klingt in Gladys’ Stimme. Die Unbekannte hat das Dunkel zwischen den Lagerschuppen nicht verlassen. Gladys legt ihr die Hand auf den Arm:
    »Aber was wird mit Ihnen? Ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt für alles, was Sie getan haben. Warum helfen Sie mir, einer ganz Fremden? Es ist gefährlich für Sie.«
    »Sie brauchen Hilfe.« Leise und traurig kamen die Worte.
    »Aber Sie?«
    »Ich gehöre hierher. Es wird schon alles gut gehen.«
    »Wie kann ich Ihnen danken? Ich möchte Ihnen etwas schenken. Aber ich habe kein Geld...«
    »Macht nichts.«
    Gladys spürt ein Zögern in der Stimme des Mädchens. »Wünschen Sie sich nicht doch etwas?« fragt sie.
    »Haben Sie vielleicht... Kleider?«
    Alles, was Gladys besitzt, trägt sie am Körper gegen die bittere Kälte. Sie hat nichts weiter, aber sie will irgendwie ihre Dankbarkeit zeigen. Schnell entschlossen zieht sie ihre Handschuhe ab.
    »Hier, bitte. Und die Strümpfe.« Sie wühlt in ihrer Manteltasche und bringt ein Paar Strümpfe hervor, die sie in der Eile dort hineingeknüllt hatte.
    »Sie sind alt und gestopft, aber bitte, nehmen Sie.«
    Das Mädchen nimmt sie.
    »Danke sehr«, sagte sie ruhig. »Viel Glück!« Ihre Hände hatten sich einen Augenblick in der Dunkelheit berührt. Dann hatte die Fremde sich auf dem Absatz herumgedreht und war verschwunden. Ihre schnellen Schritte verklangen auf dem Pflaster.
    Gladys nahm ihre Koffer auf und ging nachdenklich auf das Häuschen zu. Während sie durch das matschige Hafengelände tappte, wurde ihr klar, daß sie in der Dunkelheit niemals den Weg zurück zum Intourist-Hotel finden würde. Sie stieß die Tür der Hütte auf. Eine nackte elektrische Birne hing von der Decke herab, der kahle Holztisch war überhäuft mit Papieren. Ein junger Japaner in der Uniform der Handelsmarine saß in dem grellen Lichtkreis und schrieb. Sein ernstes Gesicht wandte sich ihr zu, als sie eintrat.
    Sie stellte ihre Koffer ab und sah ihn an.
    »Bitte«, sagte sie, »sind Sie der Kapitän des Schiffes? Ich hin Engländerin, und ich muß fort von hier. Ich muß mit Ihnen fort!«
    Mit leichter Ungeduld — übrigens in ausgezeichnetem Englisch — antwortete er: »Guten Morgen. Bitte sprechen Sie langsam. Was wünschen Sie?«
    »Ich muß nach Japan mit Ihrem Schiff.«
    »So. Haben Sie das Geld, um die Fahrt zu bezahlen?«
    »Nein. Nichts!«
    Unverwandt, doch ohne Neugier blickten seine schwarzen Augen sie an.
    »Keinerlei Wertsachen?«
    »Nein, überhaupt nichts. Aber ich muß weg hier. Ich muß!«
    »Sie sagen, sie sind britischer Nationalität; Sie haben einen Paß?«
    Gladys zog den Paß aus ihrer Handtasche und reichte ihn dem Kapitän. Er blätterte ihn sorgfältig durch.
    »Eine
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