Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro
Autoren: Eschbach Andreas
Vom Netzwerk:
her, fünftausend Meter oberhalb der Vegetationsgrenze? Hatten Pilger sie in den Tälern gepflückt und mit heraufgebracht? Nein, sie waren ganz frisch. Hatte das Kloster sie hervorgebracht für diese Gelegenheit? Der ehrenvolle Empfang entrang dem Gesandten ein Lächeln. Glaubte er etwa, die Geste gelte ihm? Sie galt den heimkehrenden Göttinnen.
    Über glatte ausgetretene Stufen stiegen wir zum Eingang des Kloster hinauf. Die der Sonne zugewandten Flanken waren grün von Chlorophyll, aber es war fleckig, wies graue, abgestorbene Areale auf. Weibliche Pilger rieben die abgehärmten Stellen mit Butter ein, die sie in Blätter eingewickelt als Weihegabe mitgebracht hatten. Dann und wann zuckte die Haut des gewaltigen Wesens unter ihren Händen, was von ihnen mit merkwürdig trillernden Schreien quittiert wurde. Die ärmlichen, weit und lose um den Körper geschlungenen roten und erdfarbenen Gewänder gaben den Blick frei auf dunkelbraune Haut, magere Arme, abgezehrte Leiber und winzige spitze Brüste.
    Die Männer hielten sich im Hintergrund. Sie lagerten in einigem Abstand vom Kloster an einem kleinen Feuer, aßen und tranken vom Leib des Klosters und sangen ihre endlosen brummenden und schnarrenden Lieder, die sie durch merkwürdige Verdrehungen ihres Oberkörpers modulierten, den Thorax mit den Armen quetschten und Brust und Bauch mit den Fäusten bearbeiteten, wodurch Laute entstanden wie bei einem Dudelsack, was diesen Sängern den Spitznamen ›Petites Cornemuses‹ eingebracht hatte. Trotz der dünnen Luft waren diese Gesänge in den Bergen kilometerweit zu hören.
    Im Innern des Klosters war der süße Fäulnisgeruch noch intensiver. Ich stülpte mir die Maske meines Sauerstoffgeräts über die Nase und tat ein paar tiefe Züge. Wir wurden in einen weiten Raum geführt, dessen Wände in einem milden perlfarbenen Licht phosphoreszierten, und man bedeutete uns, auf hölzernen Auswüchsen des Bodens Platz zu nehmen.
    Süßer Tee wurde gereicht, in dem winzige weiße Blütensterne schwammen. Sie verbreiteten einen angenehm herben, frischen Duft, der den Geruch des alten Klosterleibes überlagerte. Die Luft im Innern schien dichter zu sein. Schaffte es das Kloster, wie ein monströser Blasebalg den Innendruck für seine Bewohner zu regulieren? Doch die vermeintliche Erleichterung wurde sofort zunichte angesichts des Gedankens, dass man sich im Innern eines Organismus befand, dessen Peristaltik einen zermalmen konnte. Wenn das Flüstern erstarb, die Tassen abgesetzt waren, das Rascheln der Gewänder für einen Moment verstummte, hörte man die leisen röchelnden Atemzüge des gewaltigen Wesens, glaubte man die matt leuchtenden, faltigen Wände sich weiten und schrumpfen zu sehen, nahm man da und dort aus dem Augenwinkel ein Zucken wahr wie im Fell eines Tiers, das sich lästiger Insekten erwehrt.
    In kleinen Holzschalen wurde Nahrung gereicht – oder waren es die Schädeldecken verstorbener Mönche? Faserige Streifen, die aussahen wie alte rissige Borke, aber sich zerkauen ließen wie knusprig ausgebratene Schweinekrusten. Der Geschmack ähnelte jedoch eher gerösteten, in Honig getauchten und mit Zimt bestreuten Cashewnüssen. Dazu wurde eine fettige weiße Soße angeboten, salzig und mit einem etwas bitteren Nachgeschmack. Ich erkannte ihn sofort wieder: Es war die legendäre Milch des Klosters, ein angeblich Wunder wirkendes Sekret innerer Drüsen, das von den Mönchen an die Pilger verteilt wurde, die es in kleinen Tonkrügen nach Hause brachten und es als Medizin verkauften. Früher hatte das Kloster neben den Pilgern weit über tausend Mönche beköstigt, heute waren es keine hundert mehr, die hier lebten.
    Manche Menschen vermuteten, dass diese Milch die friedenstiftende Essenz sei, weil sie möglicherweise eine Droge enthielt, die alle Zwietracht unter den Cartesanern unterdrückte und sie im Geist einte, doch man hatte in der Substanz nichts gefunden, das als Psychopharmaka hätte interpretiert werden können.
    Ich warf dem Flottengesandten einen Blick zu. Er schien keine Bedenken zu haben und zermahlte mit Appetit die faserigen Streifen zwischen den Zähnen und nippte an der Milch. Also gab auch ich meine Zurückhaltung auf und stillte meinen Hunger.
    Räucherpfannen wurden angezündet. Die Audienz der Keschra stand also unmittelbar bevor. Der süßliche Rauch benahm mir den Atem. Oder war es eine Droge, die zu wirken begann? Ich tastete nach meiner Sauerstoffmaske und drückte sie mir ins
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher