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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro
Autoren: Eschbach Andreas
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einzig und allein dem Golfstrom. Gewaltige Wassermassen, im Golf von Mexiko von der dortigen, intensiven Sonneneinstrahlung aufgeheizt, fließen unablässig nordöstlich über den Atlantik, bis sie auf Europa und seine vorgelagerten Inseln treffen und nach Norden abgelenkt werden. Über diesem warmen Strom erwärmen sich kalte Winde aus der Arktis, saugen sich mit Feuchtigkeit voll und wandeln sich, bis sie den Kontinent erreichen, von grausamen Eisstürmen zu lebensspendenden, warmen Regenbringern. Im Gegenzug kühlen die Wasser des Golfstroms ab, ihre Salzkonzentration nimmt durch den Verdunstungsvorgang zu, sodass sie schwerer werden als das umgebende, normale Atlantikwasser, was zur Folge hat, dass sie auf den Meeresgrund hinabsinken und sich südwestlich von Grönland als mächtiger unterseeischer Wasserfall in die Tiefe des Atlantikbeckens ergießen. Dadurch wiederum entsteht der Sog, der unablässig neues warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko in Richtung Europa zieht und so den Mechanismus des Golfstroms am Laufen hält.
    Doch infolge der globalen Erwärmung der Erde fangen die Pole an zu schmelzen. Polareis allerdings ist Süßwasser und leichter als Meerwasser, verteilt sich also weiträumig auf diesem. Es gefriert auch schneller und bildet mit Winteranbruch dünne, riesige Packeisdecken, die auf dem Nordatlantik das warme Wasser aus den Tropen von der eisigen Luft aus der Arktis isolieren. Die Luft vom Nordpol erwärmt sich also weniger und nimmt folglich weniger Feuchtigkeit auf, ehe sie in Europa einfällt. Umgekehrt verdunstet weniger von dem warmen Wasser, und das ist das Gefährlichste: Denn dadurch bleibt sein Salzgehalt konstant, es sinkt also nicht, sondern strömt weiter nördlich, um sich schließlich einfach mit den Weiten des Nordmeers zu vermischen. Sinkt es aber nicht und versiegt damit der unterseeische Wasserfall, erlischt auch der Sog, der den Golfstrom antreibt, und Jahrtausende werden vergehen, ehe er wieder in Gang kommt.
    Messungen zu Anfang des 21. Jahrhunderts ergaben, dass der Fluss des Golfstroms gegenüber dem Beginn der Aufzeichnungen bereits um zwanzig Prozent abgenommen hatte.
    Eine Erwärmung der Nordhalbkugel um etwa fünf Prozent, so schätzte man, würde ihn vollständig zum Versiegen bringen.
    Und auf diesen Wert bewegte sich alles zu. Keine seriöse Voraussage ging davon aus, dass er nicht erreicht werden würde.
    Im Verlauf weniger Jahre würde damit in Europa dasselbe Klima einziehen, das in Südalaska oder Mittelsibirien herrschte. Es würde kalt und trocken werden, und der größte Teil der Böden bliebe dauerhaft gefroren. Doch während Alaska und Sibirien weitgehend unbewohnt waren, lebten in Europa eine halbe Milliarde Menschen. Menschen, die etwas zu essen brauchten und die geheizte Wohnungen gewöhnt waren.
    Der Gedanke, auszuwandern, war nahe liegend, aber fünfhundert Millionen Menschen – wo sollten die hin? Freilich, anfangs, als die Zusammenhänge sich gerade erst abzuzeichnen begannen und die Vorausberechnungen noch streng vertraulich gehandelt wurden, da war es noch machbar. Die Blitzmerker schafften es. Aber als die Unausweichlichkeit der Entwicklung feststand, gingen Länder in südlichen Breiten dazu über, Grundstücke und Häuser, die Europäern gehörten, zu beschlagnahmen. Auf einmal gab es überall Einwanderungsbeschränkungen, selbst in elenden afrikanischen Staaten, die zehn Jahre zuvor noch für jeden mit Know-how und Geld den roten Teppich ausgerollt hätten. Inzwischen erreichten die Immobilienpreise dort Höhen jenseits aller Vorstellungskraft.
    Ein paar entkamen, natürlich. Ein paar entkommen immer. Die Superreichen kennen sowieso kein Heimatland, und manche hatten einfach Glück, aber ansonsten war Auswandern keine Option. Zumal es keine Auswanderung geworden wäre, sondern eine zweite Völkerwanderung.
    Die Zurückgebliebenen versuchten, sich zu arrangieren. Mit Treibhäusern aus bruchfestem Glas trotzte man der Gefahr von Missernten, und wenn man die zunehmenden Eisstürme schon nicht verhindern konnte, versuchte man wenigstens, ihnen mit Hilfe von Windrotoren Energie abzuringen. Politiker aller Parteien zeigten sich kämpferisch und zuversichtlich, dass die Krise, die Neuorientierung, die Anpassung an die veränderten Verhältnisse bewältigt werden würde. In der Abgeschiedenheit ihrer Büros jedoch, abseits von Mikrofonen und Kameralinsen, war wenig Zuversicht übrig. Europa war dabei, ins Elend abzurutschen, und nichts und niemand
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