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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro
Autoren: Eschbach Andreas
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Gesicht.
    Plötzlich war das Klingen von Zimbeln zu hören, und das Kloster erbebte vom Tuten mächtiger Hörner. Mitten in der leuchtenden Wand tat sich eine runde Öffnung auf. Die Mönche drängten sich mit einem Mal dicht um uns und führten, nein schoben uns hindurch in einen hohen Raum, der das Allerheiligste zu sein schien. Auf einer Art Kanzel, einer faltigen Höhlung hoch in der Wand, war eine große, merkwürdig verkrümmte Gestalt zu erkennen, die auf uns herabstarrte. Ich blickte in das Gesicht des ältesten Wesens, das mir je im Leben begegnet war. Es ähnelte mit seinen langen Armen und seiner schwarzen Haut einem urtümlichen Geschöpf, das wenig Ähnlichkeit hatte mit den Eingeborenen dieser Welt. Es war, als hätte man die Haut eines Cartesaner über ein viel zu großes Skelett, einen überdimensionalen Rahmen gespannt und im gnadenlosen Sonnenlicht der Höhenregion getrocknet. Das Wesen schien tatsächlich, wie manche vermuteten, ein Alien zu sein, der Abkömmling einer sehr alten Spezies, der einst auf den Planeten gelangt war und einen Weg gefunden hatte, sich immer wieder in Gestalt einer Eingeborenen zu verkörpern. Ich wusste, dass diese Keschra als Tochter kleiner Leute in der Nähe von Saint-Nazaire am Ufer des Binnenmeers zur Welt gekommen war und man sie, als man bei ihr die Zeichen der Wiedergeburt entdeckt hatte, als kleines Kind ins Kloster gebracht hatte. Aber der Geist der alten Rasse – und das Kloster – hatten ein anderes Lebewesen aus ihr geformt: eine Wiedergeborene Göttin.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, ruhte ihr Blick auf mir. Es war nicht der verschleierte Blick einer Eingeborenen, es waren fremdartige Augen – und es waren die Augen eines kranken, leidenden Wesens.
    Der Flottengesandte hatte den Dreispitz abgenommen und hielt ihn gegen die ordensgeschmückte Brust gepresst. Er verneigte sich, hob den Stahlkoffer auf ein Podest unterhalb der Kanzel und öffnete ihn mit feierlichen Bewegungen. Darauf trat er ein paar Schritte zurück und verbeugte sich erneut. Das Geschmeide funkelte trotz des gedämpften diffusen Lichts auf dem blauen Samt.
    »Im Namen der Menschen auf Eurer Welt und im Namen der Flotte bitte ich Eure Heiligkeit um Verzeihung für die frevelhafte Tat. Wir wissen, dass dieses Verbrechen nicht ungeschehen zu machen ist, aber wir haben keine Mühe und keine Kosten gescheut und das Menschenmögliche versucht, um euch das Geschmeide Eurer Vorfahren zurückzuerstatten.«
    Ich übersetzte seine Worte. Die Mönche tuschelten.
    Mit erstaunlicher Geschwindigkeit ließ sich die Göttin aus der Höhe herab und berührte die Steine, zunächst mit ihren langen schwarzen Krallenfingern, dann mit der Zunge, fuhr damit über einen nach dem anderen, roch daran – und ließ das Geschmeide achtlos fallen, als hätte sie jedes Interesse daran verloren.
    Unruhe machte sich breit unter den Mönchen, Keuchen, heftiges Atmen, Flüstern, Anzeichen des Unmuts. Ich hörte wiederholt das Wort ›unheilig‹. Hatte man beim Zusammenfügen der Steine Fehler gemacht? Ihre Reihenfolge im Geschmeide womöglich vertauscht? Oder handelte es sich gar um eine Fälschung? Das konnte fatale Folgen haben – nicht nur für die Menschen in den Städten des Binnenmeers, sondern für ganz Cartesius.
    Ich warf dem Gesandten einen beunruhigten Blick zu. Sein kahler Schädel schimmerte blass im Halbdunkel, seine Stirn war schweißbedeckt und missmutig gerunzelt. Er wirkte enttäuscht und verletzt über die Reaktion, doch er hielt sich zurück.
    Die Göttin war zurück in ihre faltige Höhlung in der Wand gestiegen und hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Das Raunen und Murren der Mönche wurde lauter, drohender. Und mir war auch, als sei das Atmen des Klosters schärfer und heftiger geworden.
    »Was ist?«, fragte der Gesandte. »Was sagen die Leute? So reden Sie doch! Was ist los?«
    »Die Steine …«, sagte ich. »Es scheinen welche zu fehlen.«
    »Das ist unmöglich. Es sind dreiundachtzig, und alle in genau der Anordnung, in der sie ursprünglich waren.«
    Plötzlich waren wir eng von den Leibern der Mönche umringt. Sie drängten uns aus dem Raum, durch den Vorraum und durch das Hauptportal hinaus ins Freie.
    Der Maître des Pédaliers blickte uns erschrocken entgegen. Seine Männer wichen ängstlich zurück, kletterten an Bord und schlüpften in ihre Käfige.
    Wir stolperten über die Terrasse, von Mönchen gestoßen und bedrängt. Pilger hatten sich zu ihnen gesellt, die
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