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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro
Autoren: Eschbach Andreas
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gewählt hatte.
    Es war nicht nur sein animiertes Porträt in dem breiten Goldrahmen, das diesen Raum beherrschte, er hatte ihn geprägt. Er war gegenwärtig in dem dunklen, mit Schildpatt ausgelegten Holz der Wandverkleidung, in den aus roten und blauen polierten Panzern von Babyhummern gestalteten und beschnitzten Möbeln und begehbaren Schränken und in den mit irisierendem Schildpatt gefliesten Böden, deren Fugen mit Gold ausgegossen waren.
    Der Nachmittag neigte sich. Ich beobachtete die Spinnen, die emsig die Netze an den Fenstern woben, um sie gegen den abendlichen Insektenflug zu sichern.
    Sie kehrte aus der Küche zurück und goss frische heiße Schokolade ein. Ich war hingerissen von ihren geschmeidigen Bewegungen. Sie trug eine leichte weiße, fast durchsichtige Seidenburqa, unter der sich ihre große schlanke Gestalt abzeichnete. Sie nahm neben mir Platz.
    »Ich habe mir Ihr Buch angehört und viel daraus gelernt. Ich danke Ihnen.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Einladung, Mademoiselle La Maire. Es ist mir eine große Ehre.«
    Ich nippte an der Schokolade. Sie rann mir wohltuend durch die noch immer wunde Brust.
    »Sie schreiben, die erste Keschra kam auf diese Welt und brachte das Kloster mit.«
    »Das berichten die Legenden. Sie trug es in der hohlen Hand. Sie beschloss, sich in den Bergen niederzulassen, und ließ es zu einer Behausung heranwachsen. Als sich die ersten Anhänger um sie sammelten, wuchs es weiter, um allen Nahrung und Unterkunft zu bieten.«
    »Woher kam sie?«
    »Das weiß niemand. Und wie sie auf diese Welt gelangte, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.«
    »Sie brachte den Cartesanern den Frieden.«
    »Ja«, sagte ich, »denn die Bewohner dieses Planeten waren seit Jahrtausenden in blutige Kriege verwickelt. Sie bewirkte, dass die Aggression verschwand. Wie sie das vermochte … das ist das Problem, mit dem wir konfrontiert sind, Mademoiselle La Maire.«
    »Sie beschloss, immer wieder in Gestalt einer Bewohnerin dieser Welt wiedergeboren zu werden, um den Frieden zu sichern.«
    »So ist es.«
    »Und dieses Geschmeide …« Sie hob die Hand. »Es bestand aus den Wiedergeborenen Göttinnen?«
    »Ja, Mademoiselle La Maire. Es waren die transformierten sterblichen Überreste ihrer Vorfahren. Die erste Keschra hatte ihre Anhänger gelehrt, wie sie diese Transsubstantiation in Kristalle durchführen mussten. Dreiundachtzig in Silber gefasste Leiber. Über diese Kette hielt jede Wiedergeborene vermutlich Kontakt mit der Urmutter.«
    »Über einen Zeitraum von hunderttausend Jahren?«
    »Mindestens.«
    »Wir haben diese Verbindung durchtrennt.«
    »Das befürchte ich.«
    »Ich wünschte, Sie hätten Unrecht, denn wir sind in einer ziemlich ausweglosen Situation. Wir können hier nicht in einem ständigen Belagerungszustand leben, und die Flotte hat keine Möglichkeit, die Menschen zu evakuieren. Wohin auch? Nur ein kleiner Teil könnte in den Orbitalkomplexen unterkommen. Die Zurückbleibenden wären dann umso mehr gefährdet. Trotzdem existieren, wie ich weiß, in einigen Städten bereits geheime Prioritätenlisten, welche Personen bei einer eventuellen Evakuierung unbedingt zu berücksichtigen sind.«
    »Unglaublich.«
    »Nein, durchaus menschlich, mein lieber Palladier. Typisch menschlich.«
    »Die Idee, den Planeten zu verlassen, können wir uns aus dem Kopf schlagen.«
    »Der Meinung bin ich auch, aber welche Alternative haben wir? Glauben Sie, dass wir etwas durch Verhandlungen mit den Eingeborenen erreichen könnten?«
    Der alte Galopin hatte die Lippen gespitzt und blickte missmutig auf uns herab.
    »Mit wem sollten wir verhandeln? Es herrscht Anarchie. Das totale Chaos. Es gibt keine Wortführer. Allenfalls ein paar Warlords oder Bandenhäuptlinge, auf deren Zusagen kein Verlass ist oder die morgen bereits entmachtet oder tot sind. Die Cartesaner sind krank. Es ist wie ein Fieber, das in ihren Köpfen wütet. Sie sind nicht bei Sinnen.«
    »Vorgestern erschienen ein paar Pilger am Westtor. Es waren auch Mönche unter ihnen. Sie machten einen recht friedfertigen Eindruck und bettelten um Nahrung. Sie berichteten, die inneren Quellen, aus denen das Kloster sie beköstigte, seien versiegt. Der Hunger habe sie zum Abstieg gezwungen. Der Gestank des Todes im Leib des Klosters sei von Tag zu Tag unerträglicher geworden, und man spüre keine Bewegung mehr in den Wänden. Nur die Frömmsten harrten noch aus und flößten ihm Wasser ein. Sie warteten auf den Abschluss der
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