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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Abschluß sein sollte. Es war ein Drang des Gewissens, gegen den alle Argumente lächerlich waren.
    »Gehen wir –«, sagte er rauh.
    Er führte Luise durch ein paar Seitenwege und blieb dann vor einem anderen, frischen Grabhügel stehen. Auf ihm lagen keine Blumen … die Friedhofswärter hatten die Erde bloß mit Tannengrün abgedeckt, damit der Erdhaufen nicht so kahl aussah.
    »Sind wir da?« fragte Luise stockend.
    »Ja.«
    »Laß mich bitte allein, Robert …«
    »Luise –«
    »Bitte –«
    Da ging er und stellte sich jenseits der Taxushecke auf den Weg. Fast eine halbe Stunde blieb Luise am Grabe Dahlmanns … was sie in diesen Minuten sprach oder dachte, erfuhr niemand. Robert Sanden zuckte zusammen, als er ihre Stimme hörte.
    »Robert bitte –«
    Er lief zu ihr, faßte sie unter und sah sie an. Ihr Gesicht war weder verzerrt noch bleich. Sie sah wie immer aus, ja, es schien fast, als sei es befreiter, gelockerter, entkrampfter als bisher.
    »Komm … laß uns gehen …«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Jetzt können wir beide auf die Sonne hoffen –«
    Als sie den Friedhof verließen, war ihr Gang aufrecht und stark. Die letzte Schwäche war von ihr abgefallen. Sie blieb stehen, hob den Kopf lauschend und streckte den Arm aus.
    »Hör, den Vogel …«, sagte sie mit dem Glücksgefühl der Blinden, sich über jedes schöne Geräusch freuen zu können.
    »Wie sieht er aus?«
    Robert Sanden schluckte. Er war noch zu sehr ergriffen von der Stunde, um sich aus ihr so befreien zu können, wie Luise. Er spielte den Fröhlichen … er hatte es ja gelernt und auf der Bühne Hunderte Male dargestellt.
    »Er ist rot und hat eine gelbe Brust …«
    »Lügner … so einen Vogel gibt es gar nicht!«
    »Dann ist es ein Zaubervogel –«
    »So wunderschön singt er auch.« Sie ergriff Sandens Hand und drückte sie an ihre Brust. »Ist es nicht herrlich, so zu leben …«
    »Ja …«, sagte Sanden dumpf. »Herrlich …«
    Er starrte gegen die Bäume. Auf einem Friedhof muß sie es sagen, dachte er. Ausgerechnet auf einem Friedhof. Luise erriet seine Gedanken … sie legte den Arm um seinen Hals und drückte ihren Kopf an seine Schulter.
    »Das Leben geht weiter …«, sagte sie leise. »Es muß ja weitergehen, denn was sollten wir sonst mit unserem Leben anfangen …?«
    Sanden nickte stumm. Welch eine Frau, dachte er dabei. Woher nimmt sie bloß die Kraft?!
    Und er schämte sich wirklich, daß er kein Wort sagen konnte aus Angst, seine Stimme könne schwanken …
    *
    Dr. Kutscher sah nach dieser ›Wiederkehr‹ Luises – wie er es nannte – den Zeitpunkt für gekommen, um die nötigen Nachlaßformalitäten und den weiteren Geschäftsgang zu regeln.
    »Ihr Mann hat hunderttausend Mark hinterlassen«, sagte er zu Luise Dahlmann. »Er war im Todesfalle mit fünfzigtausend Mark und bei Tod durch Unglück mit der doppelten Summe versichert. Aufgrund der Polizeiprotokolle zahlt die Versicherung die Summe aus. Ich habe alles vorbereitet –«
    »Ich will sie nicht haben.« Luise saß wieder vor ihrem Tonbandgerät, die Augen mit den Haftschalen bedeckt und verbunden. »Noch einen Monat Blindheit«, hatte Dr. Saviano aus Bologna auf Anfrage Robert Sandens geschrieben. »Hoffentlich hat der Nervenschock keine Nachwirkungen an den Augen hinterlassen … das wäre dann unrettbar …«
    »Hunderttausend Mark!« sagte Dr. Kutscher eindringlich.
    »Gründen Sie in meinem Namen eine Stiftung für blinde Kinder.« Luise wandte den Kopf zur Seite. »Ich will dieses Geld nicht sehen … Können Sie das nicht verstehen?«
    Dr. Kutscher pflichtete bei, obgleich er auf dem Standpunkt stand, daß man hunderttausend Mark nicht ansieht, woher sie gekommen sind. Aber hier war eine Grenze zwischen der Gefühlswelt einer Frau und dem nüchternen Verstand eines Mannes. Darüber gab es keine Brücke.
    »Wie soll die Stiftung heißen?« fragte er. Es schlüpfte ihm so heraus … kaum, daß er es gesagt hatte, schalt er sich einen Narren.
    Luise wandte ihm den Kopf zu. Ihre Stimme war ganz klar.
    »Dahlmann-Stiftung. Wie sonst?«
    »Natürlich … wie sonst …«
    Dr. Kutscher verabschiedete sich schnell und ging.
    Das soll man begreifen, dachte er auf der Treppe und schüttelte den Kopf. Es ist leichter, die vierte Dimension zu erklären, als die Seele einer Frau. Wir Männer kommen nie dahinter.
    Es lag schon Schnee, als Professor Bohne in Münster die Binde von Luises Augen nahm und sie an das Fenster führte. Ein langes Telefongespräch mit
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