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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging zu der kleinen Hausbar. Er spürte, wie weich er in den Knien war, wie grauenhaft ihn der Schauder vor den nächsten Minuten packte.
    Sie hat ein Testament gemacht, dachte er, als er die Kognakflasche herausholte. Und wenn sie es heimlich widerrufen hat … wenn niemand mehr übrig ist, erbt der Ehemann. Und wenn der Verbleib von Monika nicht zu klären ist … ich habe die lebenslängliche Nutznießung der Apotheke!
    Monika!
    Übermorgen sucht man das Moor ab …
    Ein Teufelskreis ist es, in dem ich stehe, dachte er mit würgendem Grauen. Ich kann nicht darauf hoffen, daß sie vergeblich suchen. Ich habe keine Zeit mehr …
    Er trank. Ein Glas, zwei, drei, vier Gläser, schnell hintereinander. Mut, dachte er. Ich muß Mut haben! Ich kann jetzt kein Feigling sein.
    Er trank das fünfte Glas … das sechste … er spürte, wie der Alkohol im Gehirn sich verbreitete, wie alles um ihn herum leichter wurde, wie seine Angst ertrank, wie das Schlechte in ihm, das er zu Hilfe rief, überhandnahm und die Hemmungen zur Seite drückte.
    »Was tust du?« fragte Luise, ratlos vor der plötzlichen Stille. »Bist du noch im Zimmer?«
    »Ja. Ich saufe …«, sagte Dahlmann grob. »Ich rette mich dahin, wo die Heimat aller betrogenen Ehemänner ist: Ich betrinke mich!«
    Nach dem siebten Glas stellte er die Flasche zurück in den Barschrank. Er war ganz ruhig geworden, von einer seltsamen Kälte. Er spürte keine Schmerzen mehr in der Brust, er empfand keine Angst mehr, er wurde geleitet von einem so klaren, nüchternen Verstand, als sei sein Hirn eine Elektronenanlage, die ohne Rücksicht auf Gefühle oder Skrupel die Schaltungen ausführte, wie sie von ihm gewünscht wurden.
    »Wir fahren zu Dr. Kutscher«, hörte er sich mit völlig klarer Stimme sagen. Luise drehte sich zu ihm um.
    »Wohin willst du mit mir?«
    »Zu Dr. Kutscher.«
    »Er kommt gleich hierher.«
    »Das ist zu spät. Ich habe dir nicht gesagt, daß ein Wechsel bis heute mittag eingelöst werden muß. Willst du die Blamage auf dich nehmen, daß ein Dahlmann-Wechsel zu Protest geht?«
    »Nein –«
    Dahlmann rannte aus dem Zimmer. Er holte den Mantel Luises, zog ihn ihr über und ergriff ihre Hand. Ihre Finger waren so eisig wie die seinen, von einer völligen Gefühllosigkeit.
    Luise zögerte. Ich müßte sehen können … jetzt müßte ich sehen können, dachte sie. Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob er mich wieder belügt oder ob es Wahrheit ist. Aber das wird sich herausstellen, wenn wir bei Dr. Kutscher sind. Dort helfen ihm keine Lügen, dort muß er beweisen können.
    Sie gingen die Treppen hinunter, nahmen ein Taxi und fuhren. Aber Dahlmann ließ sie nicht zum Büro Dr. Kutschers fahren, sondern auf seine Anweisung, die er gab, als Luise schon eingestiegen war, umkreisten sie einige Häuserblocks, kehrten fast zur Mohren-Apotheke zurück und hielten vor dem halbfertigen Neubau.
    Vorsichtig, liebevoll wie immer half Dahlmann Luise aus dem Taxi, bezahlte und faßte dann seine Frau unter. Dabei blickte er an der Fassade empor. Sieben Stockwerke … Fenster an Fenster, noch nicht verglast, Türen, die auf Balkons führten, die gegenwärtig nur aus der Plattform bestanden, ohne Geländer oder irgendeinen Schutz. Ein stolzer Bau aus Beton und Glas würde es sein.
    Dahlmanns Hand war ganz ruhig, als er Luise eine Locke von der Stirn strich, die der Wind heruntergeweht hatte. Es war fast zärtlich, und ein paar Passanten, die an ihnen vorbeigingen, lächelten verständig.
    »Komm –«, sagte Dahlmann ganz ruhig.
    Er führte Luise in das Treppenhaus, blieb stehen und klopfte gegen eine angelehnte Tür. Luise neigte verwundert den Kopf.
    »Was ist denn?«
    »So ein Mist!« sagte Dahlmann. »Der Aufzug ist kaputt! Jetzt müssen wir die Treppen hinaufsteigen. Ich kann es dir nicht ersparen, Luiserl … fünf Stockwerke, du weißt.«
    Er faßte sie wieder unter und stieg mit ihr die Betontreppen hinauf. Ihre Schritte hallten in dem leeren Bau, durch die offenen Fenster und Türen zog der Wind. Luise hob fröstelnd die Schultern.
    »Woher zieht es so?«
    »Jemand lüftet das Treppenhaus. Ist dir kalt, Liebes?« Er nahm seinen Schal aus dem Mantel und legte ihn Luise um den Hals. Was soll das alles, dachte sie ratlos. Warum ist er so fürsorglich. Warum plötzlich so anders als vorhin?
    Sie stiegen langsam die Treppen hinauf bis zum sechsten Stockwerk. Luise zählte die Stufen nicht … ab und zu blieben sie stehen, verschnauften und stiegen dann weiter hinauf.
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