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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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Geschwür. Wäre
er nicht gestorben, wir hätten wahrscheinlich das Bein amputieren müssen. Er
war eben ein Mann, der sich nicht krank meldet, solange er noch halbwegs gehen
kann! Im Spital, während wir das Geschwür behandelten, trat dann noch
Gehirnmalaria hinzu. Mittel gegen diese verdammte Krankheit bekamen wir nicht.
Wir hatten uns eine Chininlösung für intravenöse Einspritzungen selbst
hergestellt, eine riskante Sache, aber was sollte man tun? Wir haben eine ganze
Anzahl damit durchgebracht, auch Paget. Er hat es erstaunlich gut überstanden.
Aber gleich drauf bekamen wir die Cholera in unser Lager und sogar ins Spital.
Etwas wie Isolierung gab es natürlich nicht. Es war grausig; ich möchte so
etwas nie wieder erleben! Wir hatten nicht einmal Pottasche, ganz zu schweigen
von Medikamenten und einem richtigen Instrumentarium. Wärmflaschen haben wir
aus alten Petroleumkannen fabriziert. Und ob Sie es glauben oder nicht: Donald
Paget hat auch die Cholera überstanden. Wir hatten von den Japanern einige
Vorbeugungsmittel; vielleicht hat ihm das geholfen. Ich nehme an, er hat die
Einspritzungen wirklich bekommen — ich kann’s aber nicht beschwören. Nach der
Cholera war er begreiflicherweise sehr geschwächt, und das Geschwür setzte ihm
mächtig zu. Eine Woche später war es aus mit ihm, mitten in der Nacht im
Schlaf. Das Herz... nehme ich an. Wissen Sie, was? Ich setze als Todesursache:
Cholera. Hier, bitte! Es tut mir leid, Sir, daß Sie sich deswegen eigens zu mir
herausbemühen mußten.»
    Ich nahm das Attest in Empfang und
fragte dabei mit einer gewissen Neugier: «Haben Sie auch eine dieser
furchtbaren Krankheiten durchgemacht?»
    Er lachte. «Ich war ein Glückspilz!
Außer der ortsüblichen Ruhr und einer ganz gewöhnlichen Malaria hat mir nichts
gefehlt. Mein Leiden bestand einzig in Überarbeitung, aber das hatten die
andern ja obendrein. Wir waren schwer im Druck. Es regnete damals fast
ununterbrochen, und in den dürftigen Palmhütten auf nacktem Boden oder
Bambuspritschen lagen die Kranken zu Hunderten. Kein einziges Bett, kein
Leinenzeug, kaum Instrumente und Medikamente! Und keinen Augenblick Ruhe! Man
arbeitete, bis man vor Müdigkeit umfiel, und dann stand man auf und arbeitete
weiter. Endlos! Wenn man einmal eine halbe Stunde Atem schöpfen, eine Zigarette
rauchen und ausruhen wollte, hatte ein armer Teufel, der einen notwendig
brauchte, dafür zu büßen.» Er schwieg, und ich dachte: wie leicht doch, damit
verglichen, mein Dienst in der Heimat gewesen war! «Das ging so etwa zwei
Jahre», fuhr Ferris fort. «So etwas kann einen schon zur Verzweiflung
bringen... Wenn man nicht einmal Zeit hat, einen Vortrag mit anzuhören.»
    «Sie hatten Vorträge?» fragte ich
überrascht.
    «O ja, bei uns im Camp gab es eine
ganze Anzahl! Einer der Jungen sprach über Grapefruit-Zucht, andere über
Motor-Touren-Rennen oder ‹Das Leben in Hollywood›; das war für die Gefangenen
eine willkommene Abwechslung. Nur, als Arzt half einem dies natürlich nichts.
Was nutzt es einem, etwas vom Wachstum der Grapefruit zu hören, wenn man weiß:
am andern Ende des Lagers windet sich jemand in Krämpfen.»
    «Es muß furchtbar für Sie gewesen
sein», sagte ich.
    «Und doch auch schön...» Er sann vor
sich hin. «Der Drei-Pagoden-Paß gehört zu den schönsten Gegenden der Erde...
Das weite Tal und der Strom, das Waldesdickicht, die Berge... Einmal saß ich am
Ufer. Die Sonne versank hinter den Bergen, und jemand sagte: ‹Ja, wenn man
einmal auf Ferien hierherkommen könnte!› Ein Gefangenenlager ist etwas
Schreckliches, doch in so wunderbarer Natur ist es doch noch etwas anderes.»
    Als Joan Paget am Mittwochabend zu mir
ins Büro kam, berichtete ich ihr von den bisher erzielten Fortschritten, das
heißt, zunächst über die Liquidation des Nachlasses; ich legte ihr das
Verzeichnis der in Ayr eingelagerten Möbel vor, fand aber nur geringes
Interesse.
    «Das sollte man alles verkaufen. Kann
man es nicht versteigern lassen?» fragte sie.
    «Man könnte damit noch etwas warten»,
riet ich. «Wenn Sie sich ein eigenes Haus oder eine Etagenwohnung nehmen...?»
    «Dann möchte ich es nicht mit den
Sachen von Onkel Douglas möblieren», widersprach sie und rümpfte die Nase,
erklärte sich aber bereit, so lange zu warten, bis sie sich über ihre eigenen
Pläne schlüssig geworden sei.
    «Ich habe auch den Totenschein
erhalten», sagte ich und wollte ihr eben mitteilen, was ich veranlaßt hatte,
als sie mich
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