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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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auf der Veranda,
studierte mit ihr den Grundriß des Selbstbedienungsladens, und wir besprachen
die Frage, ob man nicht auch Geschirr und Haushaltungsgegenstände dort führen
sollte. Wir fuhren miteinander nach Willstown, besichtigten das in Aussicht
genommene Baugelände, und ich besprach mit dem Bezirksschreiber Carter die
erbbaurechtlichen Fragen ihres gegenwärtigen und künftigen Grundbesitzes. Sie
nahm mich auch mit in die Badeanstalt. Sie fand, es sähe viel schöner aus, wenn
man Zementboden und Seitenwände des Bassins mit Kacheln verkleidete; es handle
sich nur um die Kosten! Ich saß auch mehrere Stunden am Fenster in der Eisdiele
und sah draußen junge Mütter ihre Kinderwagen von einem zum andern Kaufladen
schieben.
    Einmal fragte ich sie, ob sie nicht
Lust hätte, in den Ferien nach England zu kommen. Sie antwortete, wenn auch
zögernd: «Nein, keine Spur, Weißt du, Noel, wenn Joe und ich nächstes Jahr
Ferien machen, fahren wir nach Amerika. In San Franzisko kaufen wir uns einen
gebrauchten Wagen und fahren die Westküste entlang nach Arizona und Texas. Ich
glaube, wir können dort eine Menge lernen, was uns hier zustatten kommt. Die Leute
hatten doch wohl die gleichen Probleme wie wir und haben sie gelöst, zum Teil
wenigstens.»
    Eines Abends schlug sie mir vor, ich
solle für immer bei ihnen bleiben und nicht mehr nach England zurückreisen.
    «Was hält dich denn dort, Noel? Von
deiner Anwaltspraxis hast du dich schon gelöst. Gib sie ganz auf! Laß Chancery
Lane! Laß London und lebe mit uns! Wir haben dich gern.»
    Ich war gerührt; aber es ging nicht.
Die Alten haben ihren Platz und die Jungen den ihren.
    «Es ist lieb von euch», erwiderte ich,
«und ich wollte, ich könnte es. Aber ich habe Söhne und Enkel. Du weißt, Harry
kommt nächstes Jahr; wir hoffen, er bleibt an Land; er wird zum Admiralstab
versetzt...»
    «Das freut mich, aber für uns tut es
mir leid, Noel. Wir hatten gehofft, dich recht, recht lange bei uns zu
behalten.»
    «Das ist ein schöner und lieber
Gedanke, meine gute Joan. Aber ich muß zurück.»
     
    Beide gaben sie mir das Geleit zum
Flugzeug. Abschiedsworte sind etwas Törichtes; man vergißt sie am besten so
bald wie möglich. Ich erinnere mich nicht einmal mehr, was sie gesagt hat; es
ist auch nicht von Bedeutung. Ich weiß nur noch, wie dankbar ich es empfand,
daß die «Dakota» keine Stewardess hatte und daher kein Mensch mein Gesicht sah,
während das Flugzeug über der jungen Golfstadt seine Kurven zog und ich die
neuen Gebäude, die funkelnden Dächer zum letztenmal sah.
     
    Jetzt ist Winter. Es geht auf das
Frühjahr zu. Seit fast drei Monaten bin ich nicht mehr imstande, auf meine
Kanzlei oder in den Klub zu gehen. Meine Schwiegertochter Eve, Martins Frau,
hat sich meiner angenommen und darauf bestanden, daß ich eine Pflegerin
anstelle, die nun in meiner Wohnung ein Zimmer hat. Sie wollten erst, ich solle
in ein Altersheim; aber ich mochte nicht.
    Den Winter über habe ich diese
Geschichte niedergeschrieben. Warum eigentlich? Wahrscheinlich, weil man im
Alter gern bei der Vergangenheit weilt. Bei mir äußert sich diese Schwäche im
Schreiben. Nun bin ich damit zu Ende. Und wenn ich jetzt so dasitze und hinaus
in den Londoner Nebel schaue, frage ich mich mitunter, ob irgendeiner, ob Joan
selbst erfaßt, was sie geleistet hat.
    In meinem letzten Brief habe ich ihr
einen Gedanken mitgeteilt, der mir durch den Kopf ging. Das Vermögen, das ihr
half, so viel Gutes zu wirken, stammt von Goldfeldern Westaustraliens, wo James
Macfadden es in den letzten Jahren des letzten Jahrhunderts errang. Hall’s
Creek, wo er daheim war, ist heute eine verödete Stadt wie Burketown, die
Georgetown, ein zweites Croydon... Ist es nicht recht und billig, daß das Gold,
das jenen Orten entzogen wurde, als schaffendes Kapital zurückkehrte und ihnen
neue Blüte bringt? Und dabei mußte ich denken: Ich habe das Rechte getan, habe
treu gehandelt, und der alte James Macfadden hätte zu meinen Entscheidungen ja
gesagt, obwohl sie allem zuwiderliefen, was sein Sohn testamentarisch festlegen
wollte. Aber James Macfaddens Meinung ist wohl die Hauptsache.
     
    Es kommt vermutlich von der
Zurückgezogenheit, in der ich so lange gelebt habe, daß mir diese Erinnerungen
und die Gedanken an wackere Menschen und fremdartige Gegenden einen besonderen
Genuß bereiten. Ich habe Tag für Tag den ganzen Winter hindurch daran
geschrieben, dazwischen in meinem Sessel ein wenig geschlummert und
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