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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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danach nichts Besseres
vorhaben, könnten Sie mit mir in unseren Klub gehen, und wir speisen im
Lady-Annex. Es ist da zwar nicht amüsant, aber das Essen ist gut.»
    Mit einem warmen, herzlichen Lächeln
nahm sie meine Einladung an.
    Ich stand auf, ging mit ihr zur Tür:
«Also am Mittwoch um sechs», sagte ich beim Abschied. «Und bis dahin: Nichts
überstürzen!»
    Sie ging, ich ordnete meinen
Schreibtisch, fuhr im Taxi zum Klub, nahm nach dem Lunch einen Kaffee, schlief
am Kaminfeuer im Sessel ein paar Minuten, und als ich aufwachte, entschloß ich mich,
noch ein wenig spazieren zu gehen; nahm Mantel und Hut und wanderte ziellos
über St. James’ Street und Piccadilly zum Park. ‹Wie mag das frische, junge
Geschöpf wohl dies Wochenende verbringen?› fragte ich mich. ‹Ob sie ihr Glück
Freundinnen und Bekannten erzählt? Oder sitzt sie irgendwo warm und gemütlich
allein und baut Luftschlösser? Geht sie am Ende bummeln und verjubelt ihr Teil?
Mit einem Jüngling? Jetzt hat sie ja Auswahl in Männern›, dachte ich etwas
frivol, bis mir in den Sinn kam, daran könne es ihr auch bisher nicht gefehlt
haben. ‹Sie ist doch richtig so etwas zum Heiraten! Das Aussehen! Die nette
Art! Daß die nicht schon längst einen Mann gefunden hat?!›
    Am Abend im Klub sprach ich mit einem
Herrn vom Home Office darüber, wie man am schnellsten den Tod eines
Kriegsgefangenen urkundlich feststellen könne, und telefonierte daraufhin am
Montag mit verschiedenen Stellen im Kriegs- und Innenministerium. Es gab, wie
ich vermutet hatte, für solche Fälle ein außerordentliches Verfahren. Wenn sich
zum Beispiel ein Arzt finden ließe, der den Verblichenen im Gefangenenlager
behandelt hatte, war derselbe berechtigt, nachträglich einen normalen
Totenschein auszustellen. Und so einen Arzt gab es tatsächlich: den ehemaligen
Lagerarzt von Camp 206 im Distrikt Takunan, an der Burma-Siam-Bahn. Er hieß
Ferris und praktizierte in Beckenham, südlich von London.
    Dienstag früh rief ich ihn an. Er war
gerade auf Besuchstour. Ich erklärte seiner Frau, worum es sich handelte, aber
sie schien mich nicht recht zu verstehen; die Sache war ihr offenbar zu
kompliziert. Ich solle, riet sie, gegen Schluß der Sprechstunde, abends halb
sieben, vorbeikommen und selbst mit ihm reden. Bis Beckenham ist es zwar ein
weiter Weg, doch da ich die ganzen Formalitäten endlich erledigt sehen wollte,
schon allein Miss Paget zuliebe, fuhr ich gegen Abend hinaus.
    Dr. Ferris erwies sich als munterer
Herr; er war sicher nicht älter als fünfunddreißig, gut gelaunt und von so
gesundem Aussehen, als habe er sein ganzes Leben als Landarzt in England
verbracht.
    Er hatte just den letzten Patienten
entlassen und daher Zeit, sich mit mir und meinem Anliegen zu beschäftigen.
    «Leutnant Paget...?» sagte er
nachdenklich. «Ja, ja, ich weiß... Donald Paget: so hieß er doch, nicht?»
    Ich bestätigte.
    «Natürlich; an den erinnere ich mich
genau. Den Totenschein kann ich mit gutem Gewissen ausstellen; den Gefallen tu
ich dem Jungen gern», sagte er mit dem ihm eigenen, etwas makabren Humor: «Er
hat bloß nichts mehr davon.»
    «Aber seine Schwester», bemerkte ich.
«Es geht um eine Erbschaft. Je schneller die Formalitäten erfüllt sind, um so
besser für sie.»
    «Ich möchte wissen, ob sie so tapfer
ist wie ihr Bruder», bemerkte er und griff nach einem Formularblock.
    «War er so mutig?» fragte ich.
    Dr. Ferris bejahte: «Äußerlich war er
zwar zart, etwas bleich, aber ein prächtiger Mensch. Er war dunkelhaarig, im
Zivilberuf Pflanzer, soviel ich weiß, und hatte sich als Freiwilliger gemeldet.
Er sprach ausgezeichnet Malaiisch und sogar etwas Siamesisch. Damit hat er sich
unserm Camp außerordentlich nützlich erwiesen, zumal beim Schleichhandel mit
einheimischen Siamesen. Vor allem aber war er ein Vorgesetzter, wie ihn die
Mannschaften schätzen. Sein Tod war für uns alle ein großer Verlust.»
    «Woran ist er gestorben?»
    Der Arzt hielt im Schreiben inne. «Tja,
da könnte man allerhand Todesursachen angeben! Zu einer Obduktion fehlte
natürlich die Zeit. Unter uns: ich weiß es selbst nicht genau. Jedenfalls hat
er ein halbes Dutzend Krankheiten überstanden, die ein anderer nicht überlebt
hätte. Kommt’s denn darauf an, woran er gestorben ist? Ich meine wegen der
Erbschaft?»
    «Nein, nein! Ich brauche weiter nichts
als den Totenschein.»
    Er hielt noch immer die Feder in der
Hand. «Leutnant Paget hatte am linken Bein ein böses tropisches
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