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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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mir
Samstag am besten passen.»
    «Gewiß», antwortete ich, «bei uns wird
samstags gearbeitet. Um welche Zeit wäre es Ihnen recht?»
    «Sagen wir zehn Uhr dreißig?»
    «Gut.» Ich notierte es mir auf meinem
Terminkalender.
    «Haben Sie Ihren Geburtsschein?»
    «Ja, auch den Heiratsschein meiner
Mutter; wenn Sie meinen, daß das etwas nützt.»
    «Gewiß», versicherte ich, «bringen Sie
ihn nur mit, Miss Paget! Ich erwarte Sie also am Samstag. Lassen Sie sich
direkt bei mir melden: Noel Strachan. Ich bin der Seniorpartner.»
    Pünktlich um zehn Uhr dreißig trat sie
in mein Büro. Sie war ein Mädchen oder eine Frau mittlerer Größe, brünett,
hübsch, aber nicht auffallend. Eine wohltuende Ruhe ging von ihr aus, die ich
schwer beschreiben kann, ich müßte denn sagen: sie war von jener Anmut, wie man
sie manchmal bei Frauen schottischer Herkunft findet. Sie trug ein dunkelblaues
Kostüm.
    Ich stand auf, sie gab mir die Hand;
ich wies auf den Stuhl vor meinem alten Schreibtisch, auf welchem die Papiere
bereit lagen.
    «Also, Miss Paget», begann ich, «ich
erhielt Ihre Adresse von Ihrer Tante — es ist doch Ihre Tante: Miss Agathe
Paget in Colwyn Bay?»
    Sie neigte bejahend den Kopf. «Tante
Aggie hat mir schon geschrieben, daß Sie bei ihr angefragt haben. Ja, sie ist
meine Tante.»
    «Dann nehme ich also an, daß Sie die
Tochter von Arthur und Jane Paget sind, die in Southampton und Malaya gelebt
haben?»
    Sie nickte. «Ich habe meinen und meiner
Mutter Geburtsschein und ihre Heiratsurkunde mitgebracht», nahm die Papiere aus
ihrer Handtasche und legte sie mir auf den Schreibtisch.
    Ich entfaltete die Dokumente und prüfte
sie sorgsam. Kein Zweifel! Vor mir saß die gesuchte Erbin. Ich lehnte mich
zurück, nahm die Brille ab und fragte:
    «Sind Sie Ihrem unlängst verstorbenen
Onkel jemals begegnet, Miss Paget? Ich meine Mr. Douglas Macfadden.»
    Sie zögerte; dann erklärte sie offen:
«Ich habe mir das selbst schon überlegt. Drauf schwören möchte ich nicht. Ich
denke mir nur, es könnte der alte Herr gewesen sein, zu dem mich die Mutter
einmal mitgenommen hat; ich war damals vielleicht zehn Jahre alt. Es war in
Schottland. Donald war auch dabei. Es war so ein düsteres Zimmer mit schlechter
Luft und Käfigen voller Vögel. Ich glaube, das war Onkel Douglas, aber ich bin
nicht sicher.»
    Ihre Angabe stimmte mit dem überein,
was er mir von einem Besuch seiner Schwester mit ihren Kindern im Jahr 1932
gesagt hatte. Joan dürfte damals elf Jahre gewesen sein.
    «Erzählen Sie mir von Ihrem Bruder
Donald, Miss Paget! Lebt er noch?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Er ist 1943
gestorben. Er wurde 1942 in Singapore von den Japanern gefangengenommen, als
sich die Stadt ergab, und dann wurde er zur Bahn verschickt.»
    «Zur Bahn?» fragte ich verwundert.
    Sie sah mich gelassen an, und mir war,
als läse ich in ihrem Blick Nachsicht für die Ahnungslosigkeit derer, die
daheim in England geblieben waren.
    «Die Bahn zwischen Siam und Burma, die
von den Japanern mit Kriegsgefangenen und einheimischen Arbeitskräften gebaut
wurde. Für jede Schwelle, die man dort legte, ist ein Mann gestorben. Die Linie
ist zweihundert Meilen lang. Donald war einer der Männer.»
    Wir schwiegen.
    «Das berührt mich tief», sagte ich
dann. «Verzeihen Sie, wenn ich Sie noch etwas frage; es ist leider notwendig.
Gab es da so etwas wie einen Totenschein?»
    Sie blickte erstaunt. «Das kann ich mir
nicht denken.»
    «Oh...» Ich griff nach dem Testament.
«Dies ist der Letzte Wille Ihres verstorbenen Onkels, und da ist auch eine
Kopie für Sie, aber es ist wohl besser, ich sage Ihnen den Inhalt in einfachen,
nichtjuristischen Worten. Mr. Macfadden hat zwei kleine Legate ausgesetzt; das
ganze übrige Vermögen sollte einmal an Ihren Bruder fallen. Für Ihre Mutter war
eine Vermögensverwaltung angeordnet; sie hätte nur die Zinsen bekommen. Nach
dem Tod Ihrer Mutter und Ihres Bruders soll das Vermögen von uns für Sie
verwaltet werden, und zwar bis Sie fünfunddreißig sind. Sie werden verstehen,
daß ein legaler Beweis für das Ableben Ihres Bruders erforderlich ist.»
    Miss Paget überlegte und sagte dann:
    «Mr. Strachan, ich bin leider
entsetzlich dumm. Soviel ich verstehe, wünschen Sie einen Beweis dafür, daß
Donald tot ist. Wenn Sie den aber nun haben, meinen Sie, daß ich dann alles
erbe, was Onkel Douglas hinterlassen hat?»
    «Grundsätzlich ja», gab ich zur
Antwort. «Bis zu diesem Tag bekämen Sie aber nur den Kapitalertrag.
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