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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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Verwandter zugegen war.
    «Ich glaube, er hatte keine mehr»,
meinte Mr. Doyle. «Seine Schwester in Southampton hat ihm früher von Zeit zu
Zeit geschrieben. Etwa im Jahr 1938 war sie zum letztenmal hier. Seit ungefähr
zwei Jahren kam kaum mehr Post, höchstens einmal eine Rechnung.»
    «Sie ist gestorben», sagte Mrs. Doyle;
«ich glaube, er hat einmal davon gesprochen; erinnerst du dich nicht mehr?»
fragte sie ihren Mann.
    Er verneinte. «Es sind im Krieg so
viele Leute gestorben... Sie wird wohl nicht mehr am Leben sein.»
    Ich ließ die Frage offen und traf die
Anordnungen für das Begräbnis. Am Nachmittag setzte ich mich an Mr. Macfaddens
Schreibtisch und sah seine Papiere durch. Die Zahlen in seinem Kontobuch und
auf den Kontrollabschnitten seines Scheckbuches überraschten mich. Ich
beschloß, am folgenden Morgen als erstes mit dem Filialleiter seiner Bank zu
sprechen. Ich fand auch ein Schreiben seiner Schwester aus dem Jahre 1941,
worin etwas von dem Häuschen in Southampton-Bassett stand. Die Frage, ob sie
noch lebe, erfuhr dadurch keine Klärung, doch enthielt der Brief Wichtiges über
ihre Kinder: Beide waren zu jener Zeit in Malaya. Donald, der meiner Berechnung
nach nun dreiundzwanzig Jahre alt war, arbeitete auf einer Gummiplantage bei
Kuala Selangor; seine Schwester Joan war ihm im Winter 1939 gefolgt und hatte
eine Bürostelle in Kuala Lumpur.
    Gegen fünf Uhr rief ich von der engen
Telefonkabine der Pension aus meine Kanzlei an.
    «Hören Sie, Lester», sagte ich, «es
gibt da eine Schwierigkeit wegen der Angehörigen. Es ist niemand anwesend, und
ich kann leider auch niemanden so rasch benachrichtigen. Das Begräbnis habe ich
vorsorglich auf übermorgen um zwei Uhr nachmittags auf dem Friedhof St. Enoch
angesetzt. Die einzigen Verwandten, von denen ich weiß, wohnen in Southampton
oder haben wenigstens dort gewohnt. Die Schwester, Mrs. Arthur Paget, hatte ein
Haus in Bassett, St. Ronans Road 17; das gehört zu Southampton. Auch die Eltern
von Arthur Paget haben in der Gegend gewohnt; möglich, daß sie noch leben. Mrs.
Arthur Paget — ihr Vorname war Jane — jawohl, das ist die Schwester des
Verstorbenen. Sie hat zwei Kinder. Donald und Joan. Die waren seit 1941 in
Malaya. Wer weiß, was aus ihnen geworden ist! Sie brauchen nicht nach ihnen zu
suchen; das wäre Zeitvergeudung. Sagen Sie Harris, er soll sein möglichstes
tun, jemanden von den Southamptoner Pagets ausfindig zu machen und ihm
mitzuteilen, wann die Beerdigung stattfindet! Am besten, er ruft auf Grund des
Telefonbuchs der Reihe nach alle Pagets in Southampton an; es werden ja nicht
viele sein.»
    Am folgenden Morgen meldete sich Lester
am Telefon.
    «Leider noch nichts Bestimmtes, Noel»,
sagte er. «Nur soviel: Mrs. Paget ist 1942 gestorben. Sie starb an
Lungenentzündung. Kollege Harris erfuhr es durch das Spital. Im
Telefonverzeichnis stehen sieben Pagets, aber die haben nichts mit der Familie
zu tun. Eine Mrs. Eustace Paget, mit der Harris gesprochen hat, meint, es
handle sich wohl um die Familie Edward Paget; die seien aber nach Nord-Wales
gezogen.»
    «Adresse?»
    «Keine Ahnung. Das Begräbnis muß in
Gottes Namen ohne sie stattfinden.»
    «Es bleibt nichts anderes übrig»,
antwortete ich, «aber Harris soll auf alle Fälle die Spur weiterverfolgen. Wir
müssen die Erben feststellen. Ich komme eben von der Bank. Es handelt sich um
ein recht ansehnliches Vermögen. Und wir sind die Treuhänder.»
    Noch am gleichen Abend packte ich alle
persönlichen Effekten, Briefe und Akten zusammen, um sie mit in meine Kanzlei
zu nehmen. Da Möbel zu jener Zeit noch knapp waren, ließ ich die Einrichtung
der beiden Zimmer einlagern, falls die Erben darauf Anspruch erheben sollten.
Die Kleider übergab ich Mr. Doyle für bedürftige Einwohner von Ayr. Von den
kleinen australischen Papageien lebten nur noch zwei. Da das Ehepaar Doyle an
den Tieren hing, überließ ich sie ihm. Am folgenden Morgen hatte ich noch eine
Konferenz mit dem Bankfilialleiter und bestellte mir dann telefonisch ein
Schlafwagenabteil im Nachtzug nach London. Am Nachmittag begruben wir Douglas
Macfadden.
    Es war sehr kalt auf dem Friedhof, rauh
und grau. Das Trauergefolge bildeten Vater und Tochter Doyle und ich, und
niemand von uns wußte etwas von diesem Mann, dem wir die letzte Ehre erwiesen.
Familie Doyle aber flößte mir tiefe Achtung ein. Als ich ihnen von dem kleinen
Legat Mitteilung machte, das der Verstorbene ihnen ausgesetzt hatte, waren sie
überwältigt.
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