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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere
Autoren: John Burdett
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Magistrates Court gesehen«, las er vor, dann schwieg er.
    Für mich wirkten die nüchternen Fakten dieses einen Satzes so stimulierend wie Weihrauch; er strömte einen überwältigenden Duft aus, als wäre mein kurzer Text eine jener Grußkarten, an denen man rubbelt, und dann riechen sie. Ein heißer Morgen trieb an mir vorbei, an dem ich die Themse von Norden nach Süden über jene berühmte Brücke überquerte, und das Herz schlug mir vor Freude in der Brust, weil ich zu meinem fünften Gerichtstermin in jener Woche unterwegs war.
    Der Tower Bridge Magistrates Court ist ein alter Gerichtshof, und seine unterirdischen Zellen sind noch richtige Verliese, die aus dem Fels geschlagen und mit Stahlgittern versehen wurden. Thirst las gerade das Guinness Buch der Rekorde und machte sich nicht die Mühe, den Blick zu heben, als der wachhabende Beamte die Zellentür öffnete, um mich einzulassen.
    »Ihr Anwalt ist da, Oliver«, sagte der Beamte, der ihn zu kennen schien.
    Thirst hob den Blick noch immer nicht. »›Das größte Objekt, das jemals von einer Einzelperson entwendet wurde, war die SS Orient Trader , ein 10640-Tonnen-Schiff. N. William Kennedy stahl es, nur mit einer scharfen Axt bewaffnet, am 5. Juni 1966‹«, las er mit hartem, unverfälschtem Cockney-Akzent vor. Endlich hob er den Kopf und sah mir ziemlich lange in die Augen.
    Er hatte ein unvergeßliches Gesicht: schön, naiv, schräg, knisternd vor Zorn. Das Gesicht eines Kriminellen: Unschuld und Arglist streng voneinander getrennt; jeden Augenblick konnte das eine oder das andere die Oberhand gewinnen.
    »Das nenne ich einen richtigen Fang. Da komm’ ich nicht ran«, sagte er schließlich.
    »Ich dachte, Sie wollten auf ›nicht schuldig‹ plädieren«, sagte ich.
    Er tat so, als denke er über das nach, was ich gesagt hatte. »Ach ja, hab’ ich ganz vergessen.« Einen Augenblick lang verzog er das Gesicht aus Gründen, die ich nicht verstand. Dann lächelte er.
     
    Meine Erklärung war genau zwei Seiten lang, doch George brauchte sieben Minuten, um sie zu lesen. Vermutlich merkte er sich jedes einzelne Wort. Vincent war schon längst fertig, als er den Kopf hob. Er nahm seine Brille ab, klappte sie sorgfältig zusammen und steckte sie zurück in ihre Hülle.
    »Sieht hieb- und stichfest aus, James. Sehr professionell.«
    »Ihnen ist klar, daß ich es mir nicht leisten könnte …«
    »Natürlich nicht, mein Alter – ein Mann in Ihrer Position, Sie müssen Präventivmaßnahmen ergreifen, wenn sich Leute wie wir ankündigen. Das wird jeder verstehen – jeder.«
    »Es ist nur, weil ich dieses Jahr Seide tragen werde, wenn alles gutgeht.«
    George tat so, als bliebe ihm der Mund offen stehen. »Hörst du das, Vincent? Da befinden wir uns ja sozusagen in Gegenwart einer königlichen Hoheit.«
    »Nicht, George«, sagte Vincent.
    George schenkte ihm keine Beachtung. »Weißt du, was ›Seide tragen‹ bedeutet, Vince?«
    »Klar, das heißt, er wird Queen’s Counsel.«
    »Nein, ich will wissen, ob du weißt, was das wirklich bedeutet.« Georges Augen verengten sich. »Ein Queen’s Counsel ist absolut souverän und von einer solch untadeligen Integrität, daß er Ihre Majestät persönlich in allen Angelegenheiten des britischen Rechts beraten darf.« Er sah mich an, die Augenbrauen hochgezogen.
    »Das war vor hundertfünfzig Jahren so«, sagte ich. »Heutzutage wendet sich Ihre Majestät lieber an raffinierte Anwälte und Presseberater, die zweihundert Pfund die Stunde verlangen. Ein Queen’s Counsel übernimmt jede Arbeit, die er bekommen kann, wie jeder andere auch.«
    George schüttelte den Kopf. »Immer an der Spitze der Meute, was? So, so! Jetzt verstehe ich. Es geht nicht darum, sich nichts zuschulden kommen zu lassen – man muß nach Rosen riechen, mein Alter.«
    Er gab mir die Klarsichthülle zurück, faltete die Erklärung sorgfältig zweimal und steckte sie in seine Tasche. Dann tastete er nach seiner Pfeife, fragte mich mit den Augen, ob ich etwas dagegen habe, kratzte darin herum und stopfte sie.
    »Keine Freundin, was?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Lange her, daß Sie verliebt waren, was?«
    »Ich war sehr beschäftigt, George – das wissen Sie. Ist nicht so ganz leicht, den Frauen nachzusteigen, wenn Sie jeden Abend bis elf und den ganzen Sonntag arbeiten.«
    »Wahrscheinlich. Ich hab’ da keine Ahnung. Ich hab’ zwei Wochen nach meinem Abschluß an der alten Polizeischule in Hendon geheiratet. War damals natürlich noch eine
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