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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere
Autoren: John Burdett
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sie vernichtet, weil ich damals glaubte, das meiner psychischen Gesundheit schuldig zu sein. Und jetzt hatte ich wie ein Süchtiger meinen Stolz für die Chance verkauft, noch einmal krank sein zu dürfen. Das Foto war nicht gut, sondern verblüffend. Wahrscheinlich war es von einem Versteck aus mit einem starken Teleobjektiv aufgenommen worden. Die Metropolitan Police beschäftigt im allgemeinen keine Fotografen, die sich mit den Feinheiten der Porträtaufnahme auseinandersetzen. Doch es war gut für mich. Während ich das Bild gierig anstarrte, spürte ich, wie die jahrelange Willensanstrengung bröckelte. Die graue Barrikade aus Akten, Dokumenten, fieberhafter Arbeit und zynischem Humor schmolz dahin, als sende die Sonne ihre Strahlen wieder unerbittlich auf mich herab. Ich schenkte mir noch einen Armagnac ein, nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer, die George Holmes mir gegeben hatte.
    Die Stimme quälte mich wie ein Lied von einer fernen Küste. Ich kannte sie so gut, daß ich den Ursprung eines jeden Vokals und Konsonanten so genau bestimmen konnte, als hätte ich ihr die Sprache beigebracht, was in gewisser Hinsicht auch stimmte. Nur ein Experte – oder ein Liebhaber – konnte den verwaschenen New-England-Tonfall erkennen.
    »Die Polizei war da«, sagte ich. »Wahrscheinlich haben die Beamten mit dir auch schon gesprochen, oder?«
    »Mm. Gestern. Ist lange her, James.«
    »Acht Jahre, zwei Monate und ein paar Tage.«
    »Du hättest nicht anrufen sollen, Schatz – Sie erwarten sicher, daß wir reden. Sie könnten dir weh tun. Du bist jetzt erwachsen.«
    »Und ich werde verdächtigt.«
    Sie lachte über diese Absurdität. Als ich sie fragte, ob sie nicht vorbeikommen und darüber sprechen wolle, erklärte sie sich auf ihre freundliche amerikanische Art dazu bereit und vergaß sofort, daß ich ein erwachsener Mann war, den man verletzen konnte. Wir unterhielten uns ein paar Minuten über seinen Tod; als letztes sagte sie: »Ich muß immer wieder an die Nacht denken, in der du nach Hause gekommen bist und mir von ihm erzählt hast. Da hat alles angefangen.«
    Die Pedanterie, die ich mir durch jahrelange Übung erworben hatte, protestierte in das Schweigen hinein, daß das nicht ganz stimmte. Es hatte alles bereits ein paar Stunden früher angefangen. Nachdem ich seinen Fall für ihn gewonnen hatte, lud er mich auf einen Drink ein. Das verstieß theoretisch gegen die Regeln: Seinerzeit traf sich ein Anwalt nur in Gegenwart eines anderen Anwalts mit einem kriminellen Mandanten. Doch schon damals hatte er etwas Drängendes an sich, dem man nicht widerstehen konnte, und ich war in gewisser Weise schwach, was mit jenem wunderschönen Sommermorgen und dem, was von meiner Jugend noch übrig war, zu tun hatte. Indirekt hatte es auch mit ihr zu tun. Damals wie heute erzeugte konventioneller Erfolg in meinem Beruf null Sex-Appeal. Der Kampf um Liebe und Ruhm erforderte ein bißchen Mogeln und ein bißchen Protest, das dachte ich jedenfalls.
    Wir befanden uns zufällig in einem historisch bedeutsamen Gebiet voller Lokale mit einmaligem Ausblick über die Themse und amerikanischen Professoren, die nach der Bank suchten, auf der Shakespeare zuletzt gesessen hatte, doch ihm wäre nie in den Sinn gekommen, mit mir in ein solches Lokal zu gehen. »Was trinken« – das bedeutete für ihn, irgendwo in einem düsteren Loch südlich des Flusses an einer Bar zu stehen, wo die Aschenbecher nicht schwer genug sind, um als Waffe verwendet zu werden, und wo es nur wenige Tische und Stühle gibt. Ich bestellte ein Glas schales Bier in dem Bewußtsein, daß ich eigentlich nicht hätte dort sein dürfen, und wartete darauf, daß sich die Spannung löste. Er wich meinem Blick aus, und so konnte ich sein Gesicht betrachten: Er hatte ein kantiges Kinn, eine Adlernase und fahle Haut, der man ansah, daß sie lange Zeit keine Sonne mehr gesehen hatte.
    Er nahm einen großen Schluck Bier und begann mit seiner Zusammenfassung der morgendlichen Ereignisse, und zwar, wie die meisten seiner Sätze, mit »Yeah«.
    »Yeah, Sie waren gut, James. Genau. Sie haben den Polypen ganz schön runtergemacht – ist leichenblaß geworden, wie Sie ihn wegen seinem Notizbuch befragt haben.«
    »Den Polypen?«
    Er starrte mich an. »Sie wissen doch, was das bedeutet. Bullen, Polypen und so.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich weiß, was es bedeutet, aber es ist schon eine Weile her, daß ich den Ausdruck gehört habe.« Ich lächelte.
    »Aber wissen
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