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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung
Autoren: Meredith Duran
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träumen. Reichtum roch sogar nach etwas.
    Und man konnte ihn fühlen. Mum hatte es so oft beschrieben, dass sie im Voraus wusste, wie es sich anfühlte: Der Teppich war so dick, dass ihre Füße mit jedem Schritt tiefer einsanken. Es wurde immer schwieriger, sie wieder hochzuheben. Und die Geräusche: Keine Babys schrien nach Essen, keine Kinder kreischten im Treppenhaus. Eine unglaubliche Stille füllte den langen Flur. Das sanfte Ticken einer Uhr lullte sie ein, ihr Atem wurde langsamer.
Beruhige dich
, lud das Haus sie ein.
Fühle … rieche … ruh dich aus
.
    Nein! Sie durfte nicht ausruhen. Sie packte die Waffe fester, während sie vorwärtsschlich und die Türen zu ihrer Rechten zählte. Stundenlang hatte sie das Haus vom Schutz der Bäume auf dem Platz aus beobachtet. Als die Lichter nach und nach erloschen, hatte sich die Bewegung auf diesen Bereich konzentriert. Es musste die fünfte Tür sein.
    Der kristallene Knauf fühlte sich kalt und glatt unter ihren Fingern an. Zum Unglück für seine hochwohlgeborene Lordschaft leisteten seine Diener gute Arbeit. Die Tür öffnete sich ohne ein Quietschen.
    Lautes Schnarchen rasselte durch den Raum. Heilige Mutter Gottes! Wenn sie den Abzugshahn nicht wieder entspannt hätte, hätte sie sich vor Schreck in den Fuß geschossen. Das wäre so charakteristisch für sie gewesen. Aber offenbar hatte Gott keinen Sinn für Ironie, wofür sie ihm rasch einen tief empfundenen Dank sandte.
    Mit drei vorsichtigen Schritten ging sie in die Mitte des Raumes. Rasch entdeckte sie den Urheber des Geräuschs, einen korpulenten Mann mit beginnender Glatze, der auf einer Pritsche in der Ecke schlief. Das musste der Diener sein, und wenn sie sich nicht irrte, konnte sie selbst aus dieser Entfernung Gin riechen. Sie rollte mit den Augen und huschte an ihm vorbei zur nächsten Tür, die sich ebenfalls lautlos öffnete. Nell schlüpfte hindurch und zog sie mit einem leisen Klicken hinter sich zu.
    Als sie sich umdrehte und ihr Blick auf das breite Bett am anderen Ende des Raums fiel, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Jetzt war sie also hier. Am Ende ihres Weges. Sie schluckte. Ein Durcheinander von untrennbar miteinander verwobenen Gefühlen stieg in ihr hoch. Trauer. Enttäuschung. Wut.
    Nur Angst hatte sie keine. Das wäre dumm.
    Trotzdem blieb sie stehen, um kurz durchzuatmen und sich zu orientieren. Der Raum war groß. Ein Pult, ein Toilettentisch, die übliche Zusammenstellung von Möbeln, die ein Hausmädchen mit schmerzenden Handgelenken auf Hochglanz poliert hatte. Die Vorhänge waren aufgezogen, durch das offene Fenster hörte man den Wind in den Blättern rauschen und die winzigen Schritte eines Nachttiers im Garten. Der Mond stand hoch über einer Wolkenbank, sein Licht erhellte das Rosenmuster auf dem dunklen orientalischen Teppich.
    Ein grimmiges Lächeln umspielte ihren Mund. Nell hatte genügend Sinn für Dramatik, um von diesem Angebot der Natur Gebrauch zu machen. Sie stellte sich mitten in den Mondschein und richtete die Waffe auf das Bett.
    »Mylord«, sagte sie ruhig. »Ich bin es, Nell. Sie wachen besser auf und sehen Ihrem Tod wie ein Mann ins Auge.«

3
    »Wie ein Mann?« Die träge Stimme kam von rechts. Nell wirbelte herum, die Finger fest um den Griff der Pistole geschlossen. »Gibt es irgendwelche Richtlinien für einen mannhaften Tod?«, fuhr die Stimme in der Dunkelheit fort. »Ich wollte mich gerade aufs Winseln und Heulen verlegen. Aber das ist nun wohl vom Tisch, oder?«
    Angestrengt starrte sie ins Dunkle. Sie konnte Rushdens Gesicht nicht sehen, aber die tiefe, belustigte Stimme klang nicht, als ob er in absehbarer Zeit anfangen würde zu winseln, falls sie ihm nicht doch eine Kugel verpasste. »Treten Sie näher«, sagte sie.
    »Damit Sie besser zielen können? Das wäre wohl eher unklug.«
    Sie zögerte. Das war nicht der saubere Mord, den sie sich ausgemalt hatte. Außerdem klang Rushden ein klein wenig zu jung, um ihre Mutter vor dreiundzwanzig Jahren gevögelt zu haben.
    Allerdings hatte Mum ihn einen Teufel genannt. Und Teufel alterten nicht. »Ein kleiner Hinweis«, sagte sie mit schneidender Stimme. »Ein Mann versteckt sich nicht feige im Dunkeln.«
    Als Antwort erklang ein leises Lachen. »Stimmt wohl.«
    Dann trat er in den vom Mondlicht erhellten Bereich.
    Hämmernd schlug ihr das Herz bis zum Hals, als wollte es aus ihr herausbrechen. Wenn dieser Mann das Werk des Teufels war, dann war es ein Wunder, dass nicht mehr Männer ihre Seele
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