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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung
Autoren: Meredith Duran
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aufgezehrt. Selbst ihr Schweigen war vorwurfsvoll gewesen.
Hast du? Würdest du? Wirst du? Oh, du böses Kind, was soll ich nur mit dir machen?
Eine zerfurchte Stirn, tiefe Ringe unter den Augen, zitternde und vom Tabakrollen fleckige Hände – Jane Whitby war alles andere als schön gewesen, und Nell würde nicht mehr an sie denken.
    Und sie würde auch nicht wieder weinen, verdammt! Sie hatte genug geheult. Trauer! Für die Reichen war sie ein Luxus, für die rechtschaffenen Armen eine Pflicht. Nell war weder reich noch rechtschaffen. Höchstens selbstgerecht. Sicher war sie arm. Aber das war es auch schon. Kein Grund zum Heulen.
    Sie rang sich in der Dunkelheit ein Lächeln ab. Oh ja, sie kannte ihre Fehler ganz genau. Sie war nicht anständig. Nicht barmherzig. Bescheiden war sie nur, weil sie sich schämte. Und ihr Herz war weder von Frömmigkeit noch von Mitleid oder Geduld erfüllt. Hass trieb sie an. Wut.
    Sie war es eigentlich, die ins Gefängnis gehörte, nicht Hannah. Hannah hatte sich nur die falsche Gesellschaft ausgesucht. Aber die Damen der GFS waren an der Wahrheit nicht interessiert gewesen. »Es tut mir sehr leid um Ihre Freundin«, hatte Mrs Watson gesagt. »Aber über Diebstahl können wir nicht einfach hinwegsehen. Sie müssen auf die Gerechtigkeit vertrauen.«
    Von wegen Gerechtigkeit! War es etwa gerecht gewesen, Hannah abzuführen? Hannah, die nur den dummen Fehler begangen hatte, Nells Geldbeutel aufzuheben, bevor die Bullen reinkamen, um alle zu durchsuchen. Hannah hatte weder Mrs Watsons Brosche gestohlen noch das Geld genommen.
    Nell hatte ihre Tat gestanden, aber niemand hatte ihr zugehört. »Was glauben Sie denn, wie ich die Beerdigung meiner Mutter bezahlen konnte?«, hatte sie geschrien. »Oder die Medizin, die sie vorher brauchte?
Ich
bin die Diebin!«
    Hannah hatte es nicht geholfen, aber irgendjemand hatte Nells kleine Rede herumerzählt. Michael hatte es mitbekommen und Nell vor Wut, dass sie die Beute nicht geteilt hatte, die Treppe hinuntergeworfen. Man hatte sogar in der Fabrik davon erfahren. Der Vorarbeiter, der von ihrem Gerede über Fenster und das Recht, die Halle zum Mittagessen zu verlassen, ohnehin irritiert war, nannte sie eine Unruhestifterin und warf sie hinaus.
    In Bethnal Green gab es keine Gerechtigkeit. Aber hier in Mayfair würde Nell vielleicht welche finden.
    Oh Cornelia, ich habe Angst um dich. Das Böse liegt dir im Blut.
    »Recht hattest du, Mum«, flüsterte Nell. Sie hatte sich als Mann verkleidet und war auf blutige Rache aus: Noch böser könnte sie nur mit der Hilfe von Luzifer persönlich werden.
    Um lächerliche zehn Pfund hatte sie Lord Rushden gebeten. Hätte er das Geld geschickt, hätte sie nicht stehlen müssen. Aber er hatte nicht einmal geantwortet. Er würde bald merken, dass er sein Leben sehr billig verspielt hatte.
    Sie spannte den Abzugshahn, und die Kammer ruckte mit einem hohlen Klicken an ihren Platz. Waffen waren doch etwas Wunderbares. Der Revolver in ihrer Hand glänzte schimmernd. Brennans Werk. Zuerst hatte der Pfandleiher gelacht, als sie nach einer Waffe gefragt hatte, aber der Anblick der Geldstücke hatte ihn schnell ernüchtert. Er hatte nicht einmal gewagt, sie hereinzulegen. Das war nicht gerade typisch für Brennan. »Du hast Schneid, Nell«, hatte er gesagt, als er die Pistole hervorholte. »Ich polier sie ein bisschen für dich auf. Dann ist es ’ne erstklassige Knarre.«
    Oh, sie fand alles ziemlich erstklassig – die Pistole, die schicke Droschke, die sie für den Weg hierher gemietet hatte. Heute würde sie keinen Omnibus nehmen. Nicht heute Nacht!
    Aber als sie endlich im Inneren des Hauses war, lag ihr der Nachgeschmack der Erniedrigung schal und bitter wie abgestandenes Bier auf der Zunge.
Erste Klasse
, dachte sie voller Verachtung. Obwohl diese Worte Leuten wie ihr so viel bedeuteten, hätten sie genauso gut aus einer fremden Sprache stammen können. Eine Droschke erster Klasse? Die Bewohner dieses Viertels besaßen mehr Kutschen, als man zählen konnte. Und ein Gefährt, das nach Erbrochenem stank, hatte wahrhaftig nichts Erstklassiges. Bei der Erinnerung daran nahm sie einen tiefen, beruhigenden Atemzug und runzelte dann die Stirn.
    Die Luft in diesem Flur war die beste, die sie jemals geatmet hatte. Nicht eine Spur von Gas oder Rauch, weder von Kohle noch von Kerzen, noch von sonst etwas. Frische Blumen, Wachs und der Hauch eines exotischen Parfüms verbanden sich zu einem Duft, der ihr das Gefühl gab zu
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