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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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unterwegs von ihrem Haus zum Café am Platzl, sah Rachel Kanzelpult drei Burschen einen alten Juden herumstoßen. Sie gaben ihn wie einen Spielball einer dem anderen ab, und Rachel war entsetzt, auf ihren Gesichtern die Unschuld und Lust zu erkennen, die so typisch für spielende Kinder sind. Dann versetzte einer dem Alten einen ungeschickten Stoß, sodass er stolperte und zu Boden stürzte. Sein Kopf schlug auf dem Bordstein auf. Nun war er kein Teil eines Spiels mehr, sondern ein zerbrochenes Spielzeug, ein Ball ohne Luft. Die Burschen sahen ihn erschrocken an. Kurz darauf schluckte einer von ihnen seinen Speichel hinunter und sagte: »Kommt. Wir suchen uns einen anderen.« Sie gingen ihres Weges und Rachel den ihren. Eine Woche später war sie an Bord des Schiffes. Nachts, wenn ihr vor Übelkeit und Sehnsucht der Bauch zu platzen drohte, erinnerte sie sich an das Krachen des berstenden Schädels.
    Als Jakob Markowitz zu Seev Feinberg sagte, »Abraham wird dich umbringen«, erfasste Rachel Mandelbaum, dass sie barbusig vor Jakob Markowitz’ Augen stand. Nicht den leichtesten Schatten eines Schnauzers hatte Jakob Markowitz, dies bestätigte ein flüchtiger Blick eindeutig, und so fand Rachel Mandelbaum die Szene völlig ungerechtfertigt. Sie bedeckte sich hastig, beunruhigt bei dem Gedanken, dass nun drei Männer im Ort den Leberfleck auf ihrer rechten Brust kannten. Hätte sie Jakob Markowitz’ Gedanken erraten, wäre sie wohl kaum beunruhigt gewesen. Verglichen mit den asymmetrischen Brüsten der Frau aus Haifa waren Rachel Mandelbaums Brüste ein himmlisches Werk, und Jakob Markowitz fand sie dieses Leichenschmauses für einen erschlagenen Araber durchaus würdig. Andererseits, dachte er, war ein erschlagener Araber mehr als genug, man musste ihm nicht noch Seev Feinberg zugesellen, der endlich aufgehört hatte, Jakob Markowitz zu danken, und nun fluchte wie ein russischer Seebär. »Du Idiot, du Dummbeutel, verdammt sei die Hündin, die dich geworfen hat.« Zuerst dachte Jakob Markowitz, Seev Feinberg meine den Araber, aber als er anfing, sich mit seiner Bärenpranke den Schnauzer zu raufen, begriff er, dass er sich selbst verfluchte. »Innerhalb von drei Minuten werden hier dreißig Männer auftauchen, und selbst das reicht nicht, um mir Abraham Mandelbaum vom Hals zu halten. Ach, ach, ach, du preisgekröntes Schwein, heute wirst du zur Schlachtbank geführt.« Seev Feinberg raufte sich erneut den Bart, und Jakob Markowitz hatte das Empfinden, vor seinen Augen ein Weltwunder zerfallen zu sehen, als wohne er der Verbrennung der Bibliothek von Alexandria bei. »Lass den Schnauzer in Ruhe«, brüllte er, über den Klang seiner eigenen Stimme erschrocken, »wir werden ihm zu zweit entgegentreten.«
    Seev Feinberg ließ, zu Jakob Markowitz’ und Rachel Mandelbaums Erleichterung, endlich von seinem Schnauzer ab. Das Grauen in seinem Gesicht machte einer Miene Platz, die aus bestimmten Blickwinkeln an Geringschätzung erinnerte. Er war über einen Kopf größer als Jakob Markowitz und fast doppelt so breit. Die achtundsiebzig Kilogramm, die Jakob Markowitz auf die Waage brachte, konnten diesen Kampf nicht entscheiden, der praktisch beendet war, ehe er angefangen hatte. Jakob Markowitz fing seinen Blick auf, und das Herz tat ihm weh. Von Weitem hörte man die Stimmen der sich nähernden Männer, die der Schuss aus dem Schlaf geschreckt hatte. Abraham Mandelbaum sicher vorneweg.
    »Lauf«, brüllte Jakob Markowitz. Seev Feinberg rührte sich nicht vom Fleck. »Ich werde sagen, ich sei aus Haifa zurückgekommen und hätte den Araber Rachel angreifen sehen. Du hättest gerade die nördlichen Felder durchkämmt, hättest Schreie gehört und in die Luft geschossen. Geh jetzt, geh!« Unter Seev Feinbergs Schnauzer taten sich vor Verblüffung die Lippen auf. Dann endlich schwang er sich aufs Pferd und galoppierte davon. Rachel Mandelbaum starrte Jakob Markowitz an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Hehre Worte auf Deutsch fielen ihr ein, aber sie kannte deren hebräische Entsprechungen nicht und schwieg deshalb. Und vielleicht war es besser so. Nicht ihretwegen hatte Jakob Markowitz es gewagt, sich derart in Gefahr zu begeben. Rachel Mandelbaums Brüste waren zwar rund und hübsch, aber Seev Feinbergs Schnauzer war einzigartig, etwas ganz Besonderes. Es war der einzige Schnauzer, der sich bei Jakob Markowitz’ Anblick zu einem Begrüßungslächeln hob.
    Die Männer bildeten einen Halbkreis um Jakob Markowitz. Noch nie
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