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Eine Luege ist nicht genug

Titel: Eine Luege ist nicht genug
Autoren: Alan Gratz
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Hamilton vor die Nase. Er warf mir einen bösen Blick zu und ließ den Offroader durch das Fabriktor schießen.
    »Du brauchst sie nicht auch noch zu ermutigen«, sagte er.
    »Freundin von dir?«, fragte ich.
    »Sie heißt Olivia. Eine vom Ort.«
    Ich blickte Hamilton an, aber er würdigte mich keines Blicks. Wir gehen beide auf ein teures privates Internat, die Wittenberg Akademie in Knoxville, und wenn man die Schule auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringt, bekommt man zwei Gruppen: die Internatsschüler und die vom Ort. Ich bin einer vom Ort. Ich bin aus Knoxville. Ich gehe aufs Wittenberg, wohne aber nicht im Schülerwohnheim wie die anderen. Wir sind dreiundzwanzig vom Ort. Wir kennen uns untereinander und alle kennen uns. Uns kostet es weniger, aufs Wittenberg zu gehen, viel weniger, und wenn das nicht so wäre, könnten es sich die meisten von uns nicht leisten. Manchmal wollen die reichen Schüler nichts mit uns zu tun haben, aber Hamilton war nie so. Und deshalb gefiel es mir auch nicht, wie er Olivia »eine vom Ort« nannte, das klang abwertend. Es passte nicht zu Hamilton und es nervte mich.
    »Meinst du die Olivia, der du Briefe geschrieben und die du jeden zweiten Abend angerufen hast?«, fragte ich.
    »Ja, schon.« Er hielt die Augen auf die Zufahrtsstraße gerichtet. »Ich hab halt mit den Anrufen aufgehört. Wahrscheinlich ist sie sauer auf mich.«
    »Meinst du?«
    Hamilton schoss wieder einen Blick auf mich ab, doch ich wich ihm aus. Ich muss zugeben, ich war auch ein bisschen sauer, teils wegen der Sache mit »eine vom Ort«, aber auch darüber, wie Hamilton Mädchen einfach fallen ließ, als ob es da immer eine Warteschlange gäbe. Schlimm genug, dass tatsächlich immer eine wartete. Hamilton fliegt auf diesen blonden nordischen Schwimmerinnentyp. Markantes Kinn, kräftige Nase. Scharfe Klamotten. Er ist belesen, wohlerzogen und wohlhabend. Alle lieben ihn. Alle bis auf seine Exfreundinnen.
    Aber ich bin lang genug mit Hamilton befreundet, um trotzdem nicht neidisch zu sein. Er könnte mit Leichtigkeit auf jemanden wie mich herabsehen, aber das macht er nicht. Seit wir zusammen angefangen haben, verbindet uns das Baseballfeld. Ich war schon immer Hamiltons inoffizieller dritter Zimmergenosse und benutze sein Zimmer als Ausgangsbasis, wenn ich auf dem Schulgelände bin.
    Hamilton parkte den Wagen. »Komm, wir müssen uns bei der Security anmelden.« Er schnappte sich sein Bier und rannte durch den Regen zu einem kleinen Betongebäude. Ich holte tief Luft und erinnerte mich (wieder) daran, dass Hamilton im Moment nicht er selbst war, ließ mein alkoholfreies Bier und meine Meinung im Wagen und rannte ihm nach.
    Drinnen wurde Hamilton von einem der Securityleute fast umarmt.
    »W arum warst du noch nicht hier, seitdem du zurück bist?«, frage ihn der Mann. Auf dem Aufnäher auf seiner Uniform stand in Kursivschrift Bernard .
    Hamilton zuckte mit den Schultern. »Du weißt schon, beschäftigt.«
    Bernard nickte mitfühlend.
    »Es hat uns echt leidgetan, als wir das mit deinem Vater gehört haben. Er war ein guter Mann«, sagte der andere Securitymann. Auf seinem Aufnäher stand Frank .
    »Nicht wie dieser Onkel von dir«, brummelte Bernard. Frank stieß ihn mit dem Ellbogen an.
    »Jungs, ihr könnt offen reden, wir sind unter Freunden«, betonte Hamilton. »W enn wir schon dabei sind, das ist mein bester Freund aus der Schule. Horatio Wilkes.«
    Wir gaben uns die Hand. So, wie sie mich ansahen, reichte Hamiltons Vorstellung, um mir ihre lebenslängliche Zuneigung zu garantieren.
    »Sollen wir es ihm sagen?«, fragte Bernard.
    Draußen donnerte es. Das passte zu der plötzlich frostigen Atmosphäre.
    »Mir was sagen?«, fragte Hamilton.
    Frank blickte sich um, als könnten sich Spione in dem kleinen, etwa drei mal drei Meter großen Raum befinden, in dem wir standen. Dann bedeutete er uns, mit in den Monitorraum zu kommen. Auf einem Dutzend Bildschirme flimmerten die Bilder der Überwachungskameras von der Fabrik und Hamiltons Haus. Eine von ihnen zeigte das Eingangstor, wo Olivia noch immer stand, ihr Protestschild hielt, meine Baseballkappe trug und umwerfend gut aussah.
    Bernard holte eine alte Kaffeebüchse aus einem hohen Regal und zog eine unbeschriftete Videokassette heraus. »Das hätten wir dir wahrscheinlich zeigen sollen, sobald du von der Schule zurück warst. Aber wie du schon gesagt hast, da war anderes zu erledigen.«
    »Habt ihr Jungs Olivia halb nackt auf dem Band, oder was?«,
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