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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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sondern in »Krypten« der Seelen überdauern und von hier aus zu neuerlicher offener kollektiver Regression bereit und wirksam geblieben waren. Wesentliche »kulturelle« Merkmale der Adenauer-Ära entlarvten sie als Erbgüter der Hitlerzeit, die wie schlechte Träume eine Nachkriegsrealität gestalteten, in der sich die Nazitäter geradezu häuslich eingerichtet hatten. So weckten ihre Analysen den Protest des schlechten Gewissens, Leugnen und Lügen. (Und sie tun es immer noch, wenn man sieht, mit wie viel Häme jene Analysen immer noch bedacht werden.) Aber festzuhalten bleibt auch, dass sie damit auch jene Debatten anstießen, die vor allem ab 1968 dazu beitrugen, der Bundesrepublik etwas zu verschaffen, was ihr bis dahin gefehlt hatte: demokratisches, kritisches gesellschaftliches Bewusstsein, Engagement und Veränderungen.
    Auch die im engeren Sinn therapeutisch-klinische Orientierung führte Margarete Mitscherlich in der Folge dazu – theoretisch und methodisch darin Siegfried Bernfeld folgend –, die analytische und die sozialpsychologische Blickrichtung im Konzept des »sozialen Ortes der Neurose« zusammenzuführen: Neurosen bilden sich demnach nicht allein infolge verpönter innerseelischer Triebregungen, sondern auch durch vorgegebene gesellschaftlich gestaltete Befriedigungsmittel. Deshalb widmete sie der Oberfläche der analytischen Rede immer besondere Aufmerksamkeit, d.h. zuerst und vor allem suchte sie die Alltagsrealität ihrer Patienten, ihr manifestes Leiden an der aktuellen Wirklichkeit (Beziehungen, Arbeit) herauszuarbeiten, um es dann als Wegweiser in das unverstandene Unbewusste, die ihm zugrunde liegenden unbewussten Motive zu nutzen. Wichtig war ihr auch, die weitere Nutzung des so erkannten Verdrängten nicht allein den Analysanden zu überlassen. In offener, geradezu pädagogischer Weise und als Kritikerin von realen Personen und sozialen Verhältnissen kehrte sie mit den Analysanden zur äußeren »Oberfläche« zurück, nicht selten Selbstbeobachtungen ihrer eigenen Lebenswirklichkeit als Modell präsentierend – und nicht nur ihre Gegenübertragungen. Die Bearbeitung der »sozialen Orte der neurotischen Konflikte« unternahm sie also auch in den Analysen selbst.
    »Von Anfang an Feministin«, vor allem aber angestoßen von ihren Erfahrungen mit der »Mütterpolitik« der Hitlerzeit stellte sich ihr die Frage, was die Frauen innerlich veranlasst hatte, sich dieser Politik zu unterwerfen. Selbstkritisch wie sie immer dachte, untersuchte sie deshalb zuerst die Weiblichkeitstheorien unserer eigenen Wissenschaft. Das hieß, zuerst Freuds Vorstellungen in Frage zu stellen, wonach die Psychoanalyse als Aufklärungsprojekt über das Unbewusste an einem wichtigen Punkt aufgehört hatte, sich selbst zu analysieren: Freuds Überlegungen zur Weiblichkeit waren maßgeblich auf entwertenden Vorstellungen aufgebaut. Den kleinen Mädchen fehle ein Penis, weibliche Charaktereigenschaften seien eher negativer Natur, gekennzeichnet von Passivität, Masochismus und schwachem Über-Ich.
    Bar jeder feministischen Überspitzung legte Mitscherlich der Geschlechterdifferenzierung dagegen jeweils spezifische, gattungsgeschichtlich erzwungene Triangulierungsschicksale zugrunde. Damit war und ist sie die erste und einzige deutsche Analytikerin, die eine andere weibliche Entwicklungspsychologie in Kernbestände der Freud’schen Theorie, vor allem in seine Triebtheorie, integriert hat. Penisneid und weiblicher Narzissmus waren für sie allenfalls sekundärer Natur. Den sogenannten femininen Masochismus trennte sie von einem perversen Begehren nach realer Gewalt und verstand jenen vornehmlich als Phantasiegebilde, das dazu dient, »passiv erlittene Befehlssituationen aktiv in kontrollierbare Situationen zu verkehren, aus Unlust Lust zu machen«.
    Damit war das Feminismus-Thema unmittelbar mit dem Ausgangspunkt ihres Werkes, der gesellschaftlichen Gewalt, verbunden. Demnach sind es die asymmetrischen Psychologien von Mann und Frau, die den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen zugrunde liegen und sie befördern. »Krieg, Gewalt, Pogrome sind Sache der Männer.« Vernichtungstendenzen und Antisemitismus seien »Männerkrankheiten«, die »sich aus der geschlechtsspezifischen Entwicklung und Erziehung ergeben« und die letztlich – wie sie es, auf Robert Stoller Bezug nehmend, auch in diesem Buch noch einmal klarstellt – aus spezifischer Kastrationsangst hervorgehen, die sich beim Mann dann über einer beiden
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