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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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einer Freundin zusammengelebt. Als ich dann meine weiteren Ausbildungsschritte machen wollte, musste, sollte, auch unbedingt wollte, habe ich meinen Sohn nach Dänemark zu meiner Mutter, meiner Schwägerin und meinem Halbbruder gegeben, die zusammenlebten. Ich dachte, dass er dort besser aufgehoben sei. Eine lange Zeit hat mich das mit einem ungeheuren Schuldgefühl erfüllt, tut es heute überhaupt nicht. Ich weiß, dass er nirgendwo so gut aufgehoben war wie dort.
    Ich habe meiner Mutter vorgeworfen, dass sie mir nicht erlaubt hatte, mein Leben mit schönen Männern auszuleben. Ich kannte etliche, mit denen ich gern ins Bett gegangen wäre. Sie hatte mir unbewusst eingeflößt, wenn ich mit den Männern sexuell etwas anfinge, müsse ich sie auch heiraten. Das wollte ich nicht, auch nicht den erwähnten schwierigen Freund. Den fand ich ungeheuer attraktiv, und der wollte mich unbedingt heiraten. Natürlich wollte er auch unbedingt mit mir ins Bett, und ich hätte auch die größte Lust dazu gehabt, aber ich habe es mir verkniffen, denn ich wollte nicht mit ihm verheiratet sein. Nur aus Lust miteinander schlafen, das war nicht drin – ich Idiotin. Später habe ich meiner Mutter – sie konnte das alles gut aushalten – gesagt: Was hätte ich für schöne Zeiten haben können, wenn du mich nicht in so rigider Sexualabwehr erzogen hättest. Ich glaube, es war wirklich die Lösung, dass ich dann diese sehr spontane Beziehung zu Alexander Mitscherlich, der verheiratet war, so dass überhaupt keine Aussicht auf Heirat bestand, eingegangen bin, gerade in erotischer, sexueller Hinsicht. Alexander Mitscherlich war der viel mehr Nach-außen-Gehende. Er war sehr neugierig, das war ich auch, aber nicht so auf äußere Verhältnisse. Er meinte immer: »Du musst den kennenlernen, dahin gehen, das kennenlernen.« Dann sagte ich: »Nein, ich habe jetzt genug. Ich will jetzt neugierig nach innen sein und nicht mehr nach außen.« Er war in gewissem Sinne romantischer als ich. Er machte sich mehr Illusionen über die Menschen, über mich, über sich auch vielleicht, und gleichzeitig lebte er natürlich ohne Frage in einer Männerwelt. Ich war realitätsgenauer. Er hat einmal gesagt: Ich sei intelligenter als er. Damit meinte er – glaube ich – realitätsgerechter als er. Ich käme schnell auf die nüchternen Tatsachen zurück.
    Ich glaube, es war Hannah Arendt, die gesagt hat: »Das Ich altert nicht.« Ich kann mir ja vorstellen, wie ich als Kind fühlte. Ich kann mir immer wieder vorstellen, wie ich war, als ich fünf, als ich 20, 30 Jahre alt war usw. Aber ich konnte mir, als ich 90 wurde, noch nicht vorstellen, wie es ist, wenn man 93 ist. Man kann sich überhaupt das Alter nicht vorstellen – man erlebt es … Wenn man so alt ist wie ich, dann erlebt man keinen Tag, an dem man nicht an den Tod denkt. Es gibt keine Zukunft mehr … Ich habe Angst vor der Zeit vor dem Tod. Den Tod selbst fürchte ich nicht. Aber die Zeit vor dem Tod kann sehr elend werden, das habe ich schon miterlebt. Das ist es, was mich bedrückt. Danach erlebt man, dass es einem Kind oder Enkelkind oder einem Freund, einer Freundin plötzlich sehr schlecht geht. Wenn es einem mir nahestehenden Verwandten oder Freund wirklich miserabel geht, dann ist es aus mit meiner Trauer um mich selbst. Dann höre ich auf, an mich zu denken. Deswegen sage ich immer, Liebe ist befreiender als geliebt werden. Wenn man wirklich lieben kann oder jemand anderes liebt, das befreit von sich selbst. Das ist eine Erfahrung, die ich stichhaltig erlebt habe.

»Zum kultivierten Leben gehört vor allem Selbsterkenntnis«
    Frau Mitscherlich, Sie sind 93 Jahre alt. Gibt es etwas, das Sie sich bis heute nicht verzeihen können?

    Nein. Es ist schandbar, aber der Mensch kennt keine Grenzen der Nachsicht mit sich selbst. Alles, was wir tun, verzeihen wir uns irgendwann. Ich hatte quälende Schuldgefühle, als ich meinen zweijährigen Sohn für drei Jahre in die Obhut meiner Mutter gegeben habe, um mich zur Psychoanalytikerin ausbilden zu lassen. Das war der schrecklichste Moment meines Lebens, denn ich wusste natürlich, wie hilflos und abhängig ein Kind in diesem Alter ist. Heute kann ich mir meinen Entschluss verzeihen, denn meine Mutter sah endlich wieder einen nicht zu übertreffenden Sinn im Leben, und meinem Sohn ging es sehr gut bei ihr.

    Ihr Sohn Matthias ist heute 61 Jahre alt. Wie sähe Ihre Glücksbilanz ohne ihn aus?

    Die Beziehung zu mir selbst und zum Leben ist tiefer
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