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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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Psychoanalytikerin vor uns, das als großes kulturkritisches Projekt zu beschreiben ist und dessen weltweite Bedeutung für die Psychoanalyse nach 1945 nicht hoch genug veranschlagt werden kann.
    Sie selbst hat immer wieder betont, dass ihre Persönlichkeit, ihr Denken von den kulturellen und politischen Differenzen zweier Länder, Deutschland und Dänemark, geprägt worden ist, Differenzen, die sich zugleich in der familiären Binnenwelt, zwischen deutscher Mutter und dänischem Vater, wiederholten. Innen und Außen, Nahes und Fremdes verbanden sich für sie offenbar zu einer Art Urszene, aber unübersehbar so gemildert, dass sich Spaltungen und paranoischen Aufladungen erübrigten. Unterschiedenes konnte miteinander in Verbindung gehalten werden, Neugier und Neigung zum leidenschaftlichen Widerspruch mussten keiner falschen Bescheidenheit oder Harmoniesucht geopfert werden. So blieb sie schließlich frei von Vorurteilen, destruktiver Lust und Schuld, frei von Unterwerfungswünschen und dem Einvernehmen mit einem kompakten Kollektiv, die andere damals im Gebrauch ihrer Vernunft und ihres kritischen Blicks auf die Zeitereignisse und ihre Ursachen beschränkt haben. Es waren offensichtlich auch jene frühen Grenzerfahrungen, die die Grundlage für ihre Auffassungen von Psychoanalyse bildeten. Sie leiteten ihre klinische und theoretische Arbeit, ihre persönlichen und beruflichen Beziehungen, ihre Tätigkeit bei der Lehre und Ausbildung, als Publizistin, als Herausgeberin der Psyche , und ihre politische Aktivität, insbesondere als Feministin.
    Ihre Ausbildung zur Analytikerin machte Margarete Mitscherlich in London, bei den Großen der Analytikergeneration nach Freud: Anna Freud, Margret Mahler, Melanie Klein, Paula Heimann, Michael Balint. Dort wurde sie zur wichtigsten Vermittlerin der in der Londoner Emigration weiterentwickelten analytischen Theorie und Praxis, auch damit aus dem ererbten Vermögen schöpfend, intellektuelle und kulturelle Landschaften miteinander zu konfrontieren und überbrücken zu können. Die »Neuaneignung« der Psychoanalyse nach 1945 in Deutschland ist ohne sie nicht zu denken. Zusammen mit ihrem Mann Alexander organisierte sie von nun an klinische Einrichtungen, psychoanalytische Wissenschaft und Ausbildung, Kooperationen mit ausländischen Analytikern und Vertretern der Kritischen Theorie.
    Die Neugründung war ja keine Sache des bloßen Reimports von Wissensbeständen. Nicht die Psychoanalyse war von den Nazis »vertrieben« und vernichtet worden, sondern die jüdischen Analytiker. Das Vertreibungsmotiv war primär nicht Anti-Psychoanalyse, sondern Antisemitismus, Menschenhass. Das hatten die Mitscherlichs verstanden, anders als viele Psychoanalytiker das heute gerne sehen wollen, um selbst auf der richtigen Seite zu sein. Ihre politische und persönliche Integrität ermöglichte es ihnen, Arbeitsbeziehungen mit den emigrierten Kollegen herzustellen. Vielen jungen Nachwuchsanalytikern wurde es möglich, in ihnen »Gegeneltern« zu entdecken, achtenswerte Vorbilder und dann auch Verbündete aus einer Altersgruppe, die sich zumindest als Generation völlig diskreditiert hatte.
    In ihren berühmt gewordenen Zeitanalysen, vor allem ihrem Werk Die Unfähigkeit zu trauern , zeigten die Mitscherlichs auf, wie Repressionen totalitärer Systeme mehr sind als äußere Realität, als bloß externer Terror. Sie beschrieben, wie sich das System der Nazidiktatur im frühen Triebleben einnistete, mit primitiven Liebes- und Hassregungen verband, frühe Objektbeziehungsmodi, Fusionen, Spaltungen und Projektionen auslöste und so in bis dahin undenkbarem Ausmaß Ich-Regressionen und Zerstörungswut erregte. Ihr Begriff »Trauer« wurde dabei gerne missverstanden. Aus Abwehrgründen wurde ignoriert, dass die Mitscherlichs gar nicht von Trauer selbst, von Traurigsein oder Selbstbetroffenheit sprachen, sondern von verweigertem Erinnern und Selbstreflexion. Es ging ihnen darum, Erklärungen dafür zu finden, warum sich die Menschen ihrer Teilhabe an einem kollektiven Wahn nicht bewusst wurden, was sie Glied einer sozialen Bewegung des mörderischen Hasses und Selbsthasses, der Zerstörung und der pathologischen Idealbildung hatte werden lassen.
    Die große öffentliche Wirkung der Mitscherlich’schen Zeitanalysen bestand aber auch darin, dass sie aufzeigten, wie jene Prozesse ins Aktuelle der Nachkriegszeit reichten, sich mit dem Untergang real existierender Herrschaft nicht einfach verflüchtigt hatten,
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