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Eine letzte Breitseite

Eine letzte Breitseite

Titel: Eine letzte Breitseite
Autoren: Alexander Kent
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vergessenen Mann sein konnte.
    Zunächst hatte sich Herrick über seine Ernennung zum Flaggkapitän in Bolithos Geschwader mächtig gefreut. Aber diese Freude wurde durch eine andere Entscheidung der Admiralität leicht getrübt: Bolitho hatte sein Schiff, die
Euryalus
,

den großen Dreidekker mit hundert Kanonen, den er seinerzeit selbst von den Franzosen erobert hatte, nicht behalten, sondern die
Lysande
r

bekommen. Sie mochte sich leichter segeln als der große Dreidecker; aber Herrick hegte den Verdacht, daß ein Dienstälterer den Ex-Franzosen für sich beansprucht hatte.
    Er hielt in seinem Schreiten inne und überschaute die geschäftigen Decks. Auf den Laufbrücken, an den Bootsgestellen, überall arbeiteten Matrosen. Andere balancierten hoch oben im schwarzen Gewirr der Wanten, Stage, Schoten, Fallen und Brassen und sorgten dafür, daß kein schamfieltes Tau, kein gebrochenes Stag das Auge des neuen Kommodore beleidigen würde, wenn er durch die Fallreepspforte trat. Die Marine-Infanteristen waren bereits angetreten. Wegen Leroux, ihrem Major, brauchte Herrick sich keine Sorgen zu machen. Eben sprach er mit seinem Leutnant, einem etwas zerstreuten jungen Mann namens Nepean; ein Sergeant inspizierte Musketen und Uniformen.
    Dem Midshipman der Wache mußte schon der Arm weh tun. Er hatte, seit Herrick an Deck war, ausdrücklichen Befehl, ständig das schwere Teleskop am Auge zu halten, um es sofort melden zu können, wenn das Boot des Kommodore von der Mole ablegte.
    Herrick sah zu den anderen Schiffen hinüber. Bis jetzt hatte er wenig mit ihren Kommandanten zu tun gehabt, doch wußte er bereits eine ganze Menge über sie. Von der kleinen Schaluppe, die im heftigen Wind so ungemütlich dümpelte, daß sich der Kupferbeschlag ihres Unterwasserschiffs in regelmäßigen Abständen aus dem Wasser hob, bis zum äußersten Zweidecker,
Osiris
,

bestanden zwischen den Kommandanten die verschiedensten Verbindungen. Der Kommandant der
Nicato
r

zum Beispiel: Herrick hatte herausbekommen, daß er während der amerikanischen Revolution zusammen mit Bolitho als Leutnant auf demselben Schiff gedient hatte. Daß sie jetzt wieder zusammentrafen, mochte sich günstig auswirken oder auch nicht. Der Kommandant der
Harebell
,

Kapitän Inch, hatte seinerzeit beim alten Geschwader ein Granatwerferschiff befehligt. Den Kommandaten der
Buzzard
,

Raymond Javal, kannte Herrick nur vom Hörensagen: er galt als unbeherrscht und gierig nach Prisengeld. Ein typischer, wenn auch etwas problematischer Fregattenkapitän.
    Wieder blieb Herricks Blick auf der
Osiri
s

haften; er versuchte, seine Verärgerung zu unterdrücken. Sie war fast ein Schwesterschiff der
Lysande
r

und wurde befehligt von Kapitän Charles Farquhar, einem alten Bekannten. Das Schicksal hatte sie wieder zusammengeführt, und zwar abermals unter dem Kommando von Richard Bolitho. Damals war es auf der Fregatte
Phalarop
e

gewesen, während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Bolitho war Kommandant gewesen, Herrick Erster Offizier und Farquhar Midshipman. Ständig hatte sich Herrick über den aus vornehmer Familie stammenden, arroganten Farquhar geärgert. Wenn er jetzt die
Osiri
s

ansah, ging es ihm nicht viel anders. Das reiche Schnitzwerk an Kampanje und Bug war mit echter Goldfarbe bemalt, ein äußeres Zeichen für den hohen gesellschaftlichen und finanziellen Status ihres Kommandanten. Bis jetzt hatte Herrick ein Zusammentreffen vermeiden können, abgesehen von Farquhars Meldung, als er in Gibraltar zum Geschwader stieß. Doch schon bei dieser Gelegenheit welkten Herricks beste Vorsätze, als Farquhar näselte: »Hören Sie mal, viel Geld haben Sie wohl nicht in Ihren alten Kasten gesteckt, eh?« Wieder dieses irritierende Lächeln. »Das wird aber unserem Herrn und Meister nicht gefallen, wissen Sie.«
    Plötzlich öffnete sich die unterste Reihe der Stückpforten in der abgeschrägten Bordwand der
Osiris
,

und die schwarzen Rohre der Zweiunddreißigpfünder glitten gleichzeitig in das schwächliche Sonnenlicht. Präzise wie stets.
    Herrick bekam einen Schreck. Farquhar ließ sich den ehrgeizigen Kopf nie von dummen Erinnerungen oder Abneigungen vernebeln. Er scherte sich nur um das, was ihm gerade am wichtigsten war, und jetzt hieß das: einen guten Eindruck beim Kommodore zu machen. Nur war dieser Kommodore ausgerechnet Richard Bolitho, ein Mann, der Herrick teurer war als jeder andere lebende Mensch. Farquhar jedoch hätte sich auch vom Teufel
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