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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein
Autoren: Lydia Adamson
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warum er sich so seltsam aufführte – mich nicht vom Bahnhof abzuholen, sich in das Haus zu schleichen und mich zu erschrecken –, als ich erkannte, daß ich eine Leiche anblickte. Schlagartig wurden mir die Knie weich, und ich setzte mich rasch auf die Bettkante.
    Harry hing an der Innenseite der Tür; das Seil, das um seinen Hals lag, war am Kleiderhaken festgebunden. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sein Gesicht war zerschunden und verzerrt. In seinem weißen Haar sah ich Blutflecken.
    Ich konnte ihn nicht mehr anschauen. Ich drückte Bushy fest an mich und barg das Gesicht in seinem Fell.

3
    Nur der Christbaum im Haupthaus war der Zerstörung entgangen. Er stand vor dem Kamin; sämtlicher Weihnachtsschmuck und die Zweige waren unversehrt, doch ringsherum lagen aufgeschlitzte Kissen, zerschmetterte Lampen und zerfetzte Teppiche. Jo Starobin saß in ihrem Schaukelstuhl. Ihr Gesicht war so weiß wie ihr Haar. Ein Detective von der Mordkommission des Nassau County, ein hochgewachsener, schwerer und ein wenig tapsiger Mann namens Senay, stand vor dem Baum und betastete eine Christbaumkugel. In der freien Hand hielt er seinen zerknautschten Filzhut und einen schwarz-weiß karierten Regenmantel, unter dem er ein blaues Flanellhemd mit roter Krawatte trug.
    Die Himalayan-Katzen durchstreiften verwirrt das verwüstete Wohnzimmer und schnupperten an den zerschmetterten Gegenständen. Hin und wieder sprang eines der Tiere für einen Moment zu Jo hinauf, um sich dann sofort wieder zu den anderen zu gesellen. Jo beachtete die Katzen gar nicht. Wie schön diese Tiere doch waren – Perserkatzen mit langem Fell in den Farben von Siamesen. Sie suchten nach Harry.
    Mit weinerlicher Stimme fing Jo plötzlich zu reden an, ohne sich dabei an jemanden im besonderen zu wenden: »Wo ich gewesen bin? Das kann ich euch sagen. Ich habe in Smithtown Karten gespielt. Ich habe Karten gespielt, als Harry gestorben ist! Mein armer Harry ist gestorben, und ich war Karten spielen!«
    Jo schaukelte im Stuhl hektisch vor und zurück.
    Ich schloß die Augen. Ich konnte es nicht ertragen, Jos Verzweiflung mit anzusehen. Seit dem gestrigen Abend war mein Magen in Aufruhr. Ich war immer noch zittrig und schwach auf den Beinen. Und ich konnte das Bild des toten Harry Starobin nicht aus meinem Kopf verdrängen, wie er mit gräßlich verzerrtem Gesicht an der Tür hing.
    Detective Senay ließ die Christbaumkugel los und ging im Zimmer auf und ab, wobei er darauf achtete, auf keine Katze zu treten. »Mrs. Starobin«, wandte er sich an Jo, »wir brauchen eine Aufstellung sämtlicher Wertgegenstände.«
    »Was sagen Sie da?« fuhr Jo auf und starrte ihn an wie einen Irren.
    »Eine Aufstellung der Wertsachen. Wir müssen herausfinden, was sie gestohlen haben.«
    »Was gestohlen? Wer?«
    »Die Täter, Mrs. Starobin. Die Mörder Ihres Mannes. Sie haben irgend etwas gesucht – Geld, Gold, Antiquitäten. Wir brauchen eine Liste der Wertsachen, die Ihnen abhanden gekommen sind.«
    Jo lachte schrill und schaukelte noch wilder als zuvor. Dann sagte sie mit beißendem Spott: »Geld? Gold? Antiquitäten. Das haben wir alles unter den Fußbodendielen versteckt. Unter dem Kaminholz verstaut. Hinter den Kacheln im Badezimmer eingemauert.«
    Dann brach sie in Tränen aus. Als sie sich wieder gefangen hatte, sagte sie mit Flüsterstimme zum Detective: »Wir haben kein Geld. Wir haben nur diese alte Farm und unsere Katzen.« Sie schlug die Augen zu, hörte zu schaukeln auf und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
    Detective Senay schaute Jo an und sah, daß sie vor Erschöpfung eingenickt war. Er kam zu mir herüber und blieb neben dem Sofa stehen. Senay hatte mich bereits vernommen, was den schrecklichen gestrigen Abend betraf: warum ich bei den Starobins war; was ich in der Hütte zu suchen hatte; wie ich die Leiche gefunden hatte.
    »Wir brauchen diese Liste«, sagte er mit gesenkter Stimme zu mir.
    » Ich kann sie Ihnen wohl kaum zusammenstellen.«
    »Aber Sie sind eine Freundin von Mrs. Starobin. Reden Sie mit ihr.«
    »Ich bin ihre Catsitterin. Ich komme nur einmal im Jahr hierher. Außerdem hat Mrs. Starobin doch gesagt, daß sie nichts Wertvolles besitzt. Und wenn sie es sagt, dann stimmt das. Ich kenne die Starobins gut genug.«
    »Jetzt hören Sie mal zu. Die Diebe haben den alten Mann langsam zu Tode gefoltert. Sie wollten Informationen aus ihm herausquetschen. Die Mörder haben irgend etwas gesucht. Harry Starobin wurde mit einem stumpfen Gegenstand der
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