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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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das Wort ›Gesicht‹ auszusprechen, was den Maresciallo nicht verwunderte. Eingerahmt von grünen Wasserpflanzen, waren da eigentlich nur noch Knochen mit ein paar wenigen, von Laichkrautgewächsen umwickelten schleimigen Fetzen und schwarzes Haar. »Man kann es kaum erkennen, aber an den Pflanzen können Sie sehen, daß ich sie keinen Zentimeter bewegt habe.«
    »Aber Sie haben ›sie‹ gesagt. Sie haben gesagt, Sie glauben nicht, daß sie gestürzt sei. Woher wissen Sie, daß es eine Frau ist oder ein Mädchen?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht wegen der Handtasche.«
    »Was für eine Handtasche?«
    »Die auf dem Rand stand.«
    »Und wo ist die jetzt?«
    »Ich fürchte, ich muß mich …«
    »Nicht hier! Setzen Sie sich dort auf die Bank.«
    »Es ist gleich wieder vorbei. Ich bin nur ein wenig außer Atem, das ist alles. Kein Wunder bei dem ganzen Hinundhergerenne.«
    »Setzen Sie sich einen Augenblick, und atmen Sie tief durch. So ist es gut. Schön. Was ist mit dieser Handtasche?«
    »Ich habe sie mitgenommen, als ich ins Büro gelaufen bin, um Sie anzurufen. Ich gehe sie holen.«
    »Nein.«
    »Das dauert nur eine Minute. Ich glaube, ich gehe jetzt lieber …«
    »Nein. Ich will nicht, daß Sie sie noch einmal anfassen. Ich lasse sie abholen. Und wir müssen Ihre Fingerabdrücke nehmen. Das verstehen Sie doch, oder?«
    Der arme Mann sah aus, als müsse er sich gleich übergeben, deswegen zeigte der Maresciallo Erbarmen mit ihm. »Gehen Sie, und trinken Sie einen Schluck Wasser. Und dann bleiben Sie unten am Annalena-Eingang und erklären meinen Leuten und denen von der Gerichtsmedizin, wie sie hierherfinden.«
    Mit gesenktem Kopf eilte der Gärtner davon. Als seine Schritte auf dem Kies verhallten, war es totenstill, abgesehen vom Lärmen der Amseln, die in der niedrigen Buchsbaumhecke herumhüpften. Der Gärtner hatte recht, niemand kam nach hier oben. Ein Bummel durch den Boboli-Garten war so etwas wie eine Belohnung für Touristen, die sich von dem anstrengenden Besuch der Galerien im Palazzo Pitti erholen wollten, oder für die Studenten der Sprachschulen, die hier ein Stück Pizza aßen und sich auf den ausladenden Stufen des Amphitheaters unter den Blicken streunender Katzen sonnten. Die florentinischen Mütter hatten ihre eigenen, vielbesuchten Routen durch die Anlage. Sie ruckelten die Kinderwagen gemächlich vor und zurück, während sie auf den steinernen Bänken der langgestreckten Platanenallee einen kleinen Schwatz hielten, oder sie zogen die Sportwagen über den Kies zu den berühmten Brunnen. Sie zeigten ihren Kindern, wie Poseidon das Wasser in Aufruhr versetzte und die ordentlichen Topfreihen der Zitronenbäume mit seinem Dreizack durcheinanderzubringen drohte, oder den grimmigen, über seine Insel herrschenden Oceanus und natürlich die glänzenden Goldfische, die größer waren als die kleinen Kinder, die mit den Fingern auf sie zeigten, und die ihre Mäuler in der Hoffnung auf ein Stückchen Brot aus dem trüben Wasser streckten. Niemand bemühte sich nach hier oben. Ein heimlicher Treffpunkt für Verliebte, die sich vielleicht eng umschlungen auf den glatten, warmen Beckenrand setzten. Ein Rendezvous, das falsch gelaufen war, oder aufgeflogen …
    Er konnte den Gedanken plötzlich nicht mehr weiterverfolgen. Eine Erinnerung versetzte ihn schlagartig zurück in die Vergangenheit. Panik, seine Stiefel, die in eine flatternde Hühner-und-Enten-Wolke tauchten …
    O Himmel! Selbst jetzt wurde er noch knallrot bei der Vorstellung, er wäre erwischt worden. Wäre seine Karriere in der Armee zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte? Nein, rückblickend glaubte er das nicht mehr, aber damals … dieser verfluchte Priester!
    Es war sein erster Posten gewesen. Einundzwanzig Jahre alt, gefangen in einem Dorf im Herzen von Nirgendwo. Die Frau war etwa Anfang Dreißig. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an ihren Namen erinnern. Ein Gesicht wie eine Madonna und eine Figur wie Sophia Loren. Sie hatte kein Geheimnis daraus gemacht, daß ihr Mann sie schrecklich vernachlässigte und nachts arbeitete. Die Kirche lag direkt gegenüber. Bestimmt hatte der Priester vor lauter Eifersucht ihren Mann angerufen. Als sie beim Knattern seines Motorrades erschreckt vom Sofa aufsprang, blieb nur ein Fluchtweg – zum Küchenfenster hinaus ins Hühnergehege. Hühner und Enten. Überall Federn. Welch ein tumultartiges Gegacker und Geflatter! Gott sei Dank war er noch angezogen. Wenn der Mann nur zehn
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