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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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Ruhe die Handtasche und deren Inhalt in seinem Büro zu untersuchen. Der Fotograf hatte sie ihm nach der Sicherung der Fingerabdrücke übergeben. Nun war es an dem Maresciallo, einen Bericht zu schreiben und anschließend die Tasche in einer versiegelten Schachtel an das Büro des Staatsanwaltes zu schicken. Der Maresciallo nahm sich für diese Untersuchung alle Zeit der Welt, denn die Handtasche einer Frau ist eine Fundgrube an Informationen.
    Während er dasaß und auf die Tasche in der durchsichtigen Tüte vor sich starrte, rief er sich die erste Handtasche, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatte, in Erinnerung: die seiner Mutter. Sie war heilig, durfte ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht angefaßt werden. Er erinnerte sich daran, daß er sie einmal holen sollte, wußte aber nicht mehr genau, zu welchem Anlaß. Vielleicht eine Beerdigung. Die Handtasche, groß, einfach, schwarz, tauchte nur an Sonntagen zum Kirchgang auf sowie bei Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen. Abgesehen vom Markttag, dem Einkaufskorb- und Geldbeuteltag, ging seine Mutter nie irgendwohin. Es muß eine Beerdigung gewesen sein, denn er erinnerte sich noch an den Geruch der Bienenwachskerzen. Wahrscheinlich die seines Großvaters. In seiner Erinnerung gab es keinen Leichnam, aber das Fehlen eines solchen war spürbar. ›Bring mir die Handtasche aus dem Schrank.‹
    Es gab keinen Grund, den Schrank näher zu bestimmen, es gab nur einen. Im Schlafzimmer seiner Eltern. Er konnte sein Herz hämmern hören. Das kleine, untere Fenster stand offen, aber die äußeren Blendläden waren geschlossen, und es roch ein wenig muffig in dem Zimmer, nach Mottenkugeln mit einem Hauch von Bienenwachs. Das hohe Bett mit der gehäkelten Tagesdecke und der dunkle Schrank erschienen ihm riesig, und der Schein der schwachen Glühbirne mit der Glasverzierung erleuchtete nur wenig mehr als die unmittelbare Umgebung. Er konnte sich nur an diesen Moment erinnern, aber er nahm an, daß sie die Handtasche haben wollte, um den Priester zu bezahlen, der unten bei den Frauen ein Glas Wein trank. Die Männer standen alle draußen. Nur wenn er angestrengt lauschte, konnte er ihre leisen Stimmen hören und den schwachen Geruch frisch angezündeter Zigaretten wahrnehmen. Das Geld in der Handtasche war ausschließlich der Kirche vorbehalten. Seine Schwester Nunziata und er bekamen daraus immer Münzen für die Kollekte in der Messe. Sie hatten einen ganz besonderen Geruch, diese Münzen, nach Mottenkugeln, dem Tupfen Lavendel auf dem Taschentuch seiner Mutter und kandierten Mandeln, von denen sie eine nach der Messe bekamen. Es waren immer welche in der Handtasche, in kleinen, mit einem bunten Band verschlossenen Netztütchen. Ihre Mutter hatte sie von Hochzeitsfesten für sie aufgespart. Die Mandeln wiederum schmeckten nach Mottenkugeln, Münzen und ein wenig nach Lavendel. Dennoch waren sie für die beiden Kinder eine besondere Köstlichkeit, und dieses Bemühen seiner Mutter, aus so wenig etwas ganz Besonderes für sie zu machen, rührte den Maresciallo. War da noch etwas anderes in der Tasche gewesen? Abgesehen von dem großen schwarzen Rosenkranz und dem kleinen schwarzen Meßbuch? Da war noch etwas, ein kleines Fläschchen, das ihn sogar jetzt noch schaudern ließ, kein Parfüm. Natürlich – Riechsalz! In einer gräßlich grünen Flasche, ein scharfer, stechender Geruch, der einem den Magen umdrehte. Einmal war sie zum Einsatz gekommen, als seine Schwester in der Kirche in Ohnmacht gefallen war. Anschließend wurde sie ins Bett verfrachtet. Sie hatte sich gekrümmt vor Schmerzen. Seitdem verband er mit diesem Geruch Furcht. Niemand hat ihm erzählt, was mit seiner Schwester los war, und so belauschte er das Geflüster der Frauen in der Küche, als sie Kamillentee mit Honig zubereiteten.
    »Sie ist jetzt eine Frau, Gott segne sie …«
    Was bedeutete das? Auf jeden Fall ging es ihn und seinen Vater offenbar nichts an.
    Er holte die Handtasche aus dem Plastikbeutel. Sie sah ganz anders aus als die Handtasche seiner Mutter. Das braune Leder war ganz weich und über und über mit den goldfarbenen Initialen des Designers bedruckt, so daß man meinen konnte, es sei bedruckter Stoff. Und im Gegensatz zur Handtasche seiner Mutter mit dem beschränkten, immer gleichen Inhalt, war diese hier vollgestopft. Das Anfertigen der Bestandsliste würde sicher einige Zeit in Anspruch nehmen. Er schüttete alles vor sich auf den Tisch, griff in den Haufen und fischte einen
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