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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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suchen soll wie alle anderen Väter auch?« fragte er seine Frau, als sie das Licht bereits gelöscht hatten.
    »Nein.«
    »Nein? Wirklich nicht?«
    »Wann soll das gewesen sein? Vor kurzem?« Sie gähnte.
    »Nein, das ist schon einige Jahre her. Damals, als wir Probleme mit ihm hatten, weil er mit seinen Freunden im Kaufhaus Sachen gestohlen hat, statt in den Sportunterricht zu gehen.«
    »Ach das. Er hatte wahrscheinlich Angst, daß du ihn verhaften würdest. Das war wirklich eine schwierige Zeit, die er da durchgemacht hat. Wie kannst du dich an solch eine Kleinigkeit erinnern?«
    »Wie könnte ich so etwas vergessen? Ich war völlig fassungslos.«
    »Er auch. Aber vergiß nicht, er war so fassungslos, weil du ihm nicht erlaubt hast, diese Katze zu behalten.«
    »Katze? Welche Katze?«
    »Die Streunerin. Du weißt schon. Schließlich ist sie im Boboli gelandet, bei all den anderen streunenden Katzen. Du bist sie zusammen mit Totò suchen gegangen, aber ich glaube, ihr habt sie nie gefunden.«
    »Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an diese Katzengeschichte, sondern weiß nur noch, wie er auf mich losgestürzt ist, auf mich eingeschlagen hat.«
    Teresa drehte sich zu ihm um und legte ihren Arm um seinen Brustkorb.
    »Gott sei Dank hat er dich. Er ist so sensibel und wird so schnell nervös. Dann kracht er mit dir zusammen, und du stehst da, fest verwurzelt wie eine Eiche. Das beruhigt ihn immer ganz schnell.«
    »Aber ich weiß nie, was ich dann sagen soll.«
    »Das ist völlig egal. Du brauchst nichts zu sagen. Schlaf jetzt.«
    »Ich muß immer an Esposito und Akiko denken. Ich meine, wir beide kommen aus derselben Stadt. Wir haben nicht nur uns gekannt, unsere Familien kannten sich seit mindestens zwei oder drei Generationen.«
    »Die Zeiten haben sich geändert. Und vergiß Tante Carmela nicht, die jüngere Schwester meines Vaters. Sie starb kurz nach unserer Hochzeit.«
    »Ja, aber was hat das mit Esposito zu tun?«
    »Mit Akiko, die vor ihrer Familie davongelaufen ist. Tante Carmela ist zwar nicht davongelaufen, aber sie hat es fürchterlich gehaßt, daß in Noto jeder jeden kannte, den ganzen Klatsch und Tratsch, daß jeder sich dazu berufen fühlte, alles zu kritisieren und zu kommentieren. Sie ist schließlich mit den Jungen von Siracuse weggegangen und hat dann auch einen von ihnen geheiratet. Ihr Verhalten war damals ein großer Skandal: Wenn sie nicht gesehen werden wollte, dann hatte sie bestimmt Verbotenes im Sinn und so weiter. Und jeder, aber auch wirklich jeder hat genau nachgerechnet, als ihr erstes Kind auf die Welt kam. Ihr ganzes Leben lang mußte sie mit solchen Verdächtigungen fertig werden. Sie hat mir selbst erzählt, daß sie überhaupt nichts Verbotenes im Sinn hatte. Es war ihr nur total verhaßt, daß alle über jeden ihrer Schritte Bescheid wußten, daß sie über sie sprachen, glaubten, sie hätten das Recht, zu kommentieren oder vielleicht sogar sich einzumischen. Ich kann sie gut verstehen.«
    »Ja, aber … Akiko starb in einem fremden Land. Sie liegt jetzt ohne Gesicht in einem Kühlfach.«
    »Hast du etwas von ihren Eltern gehört?«
    »Der Capitano hat das Konsulat kontaktiert. Ich verstehe, daß sie davongelaufen ist. Arrangierte Hochzeiten – heutzutage! Aber braucht man nicht Menschen um sich herum, die einen kennen? Die dich von klein auf kennen und wissen, wer du bist?«
    »Ich weiß nicht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber ich nehme an, du hast recht.«
    »Vielleicht ist es nur eine Frage des richtigen Verhältnisses, der Ausgewogenheit.«
    »Oder es ist einfach nur Glück. Laß uns jetzt schlafen.«
     
    Esposito hatte seiner Mutter geschrieben, bevor er sich umbrachte. Keinen Abschiedsbrief, oder zumindest hatte er so getan, als solle es keiner sein. Er mußte gegen das, was da mit ihm geschah, bis zum letzten Moment gekämpft haben, bis zu jenem Augenblick, als er sich mit diesem befremdlichen Seufzer, der seine Mitreisenden auf die eine oder andere Art so beeindruckt hatte, aus dem Sitz hochstemmte. Als Akiko aus seinem Leben verschwand, als er dachte, sie ginge absichtlich nicht ans Telefon, wandte er sich an Peruzzi, der glaubte, sie wäre in Rom. Er fuhr nach Rom und fand niemanden. Dann kehrte ihr Freund aus Tokio zurück und teilte ihm unwissentlich und fälschlicherweise jene Nachricht mit, die für Esposito unwiderruflich das Aus bedeutete.
    ›Sie muß mich gehaßt haben.‹
    Das hatte er Toshimitsu gesagt, und das hatte er auch seiner Mutter
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