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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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geschrieben.
    Aber das stimmte nicht. Sie hatte die Abtreibung nicht durchgezogen. Das Traurige war, daß er starb, ohne das zu erfahren.
    Der Maresciallo las den letzten Teil des Briefes mit einem leicht mulmigen Gefühl, denn da ging es unter anderem auch um ihn.
    ›Er hat mich freigestellt, damit ich nach Hause fahren kann, aber ich bin schon eher aus dem Zug ausgestiegen. Ich wünschte, ich hätte mit ihm geredet, ihm alles gesagt. In Gedanken habe ich das hundertmal getan. Er setzt großes Vertrauen in mich, hat gesagt, daß ich Offizier werden könnte. Das könnte klappen. Ich will ihn nicht enttäuschen. Er wird aber kaum noch denken, daß ich das Zeug zum Offizier habe, wenn er herausfindet, wie ich wirklich bin, nicht in der Lage, mein Privatleben in den Griff zu bekommen, unfähig, berufliche und private Dinge zu trennen. Solange ich beschäftigt bin, ist es nicht ganz so schlimm. Aber wenn ich nicht arbeite, ist alles so düster und schwer, daß ich nicht mehr atmen kann. Ich nehme nichts ein. Ich muß damit klarkommen. Es tut mir leid. Es tut mir schrecklich leid. Ich bin in einem kleinen Hotel. Das Zimmer ist winzig, und an der Wand hängt ein Gemälde von einer Bucht in Neapel. Ich habe ihr gesagt, daß du Bescheid wüßtest, dich um sie kümmern würdest. Sie hätte sofort aufhören können zu arbeiten und bis zu unserer Hochzeit bei dir wohnen können. Wie konnte sie das tun, ohne mit mir darüber zu sprechen? Ich wünschte, der Maresciallo wäre jetzt hier. Es wäre egal, ob ich es ihm erzählte oder nicht. Es wäre mir egal, was er von mir denkt, was er mir sagen würde, wenn er einfach nur hier wäre. Nichts scheint mehr real, wirklich faßbar zu sein. Ich bekomme nichts in den Griff, und ich habe Angst, daß ich alle enttäusche. Es tut mir leid.‹
    Verwirrt blickte der Maresciallo von der Fotokopie auf.
    »Hier endet der Brief«, erklärte der Capitano. »Wie Sie sehen, hat er Briefpapier des Hotels benutzt. Er hat ihn nicht zu Ende geschrieben, ihn auch nicht unterschrieben, aber er hat ihn irgendwann in einen Briefumschlag gesteckt und verschlossen. Wir haben ihn in seiner Gesäßtasche gefunden. Natürlich haben wir ihn mit seinen übrigen Habseligkeiten an seine Mutter weitergeleitet. Ich habe selbst mit ihr gesprochen.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Wie zu erwarten. Ich hatte den Eindruck, daß sie die ganze Zeit so etwas befürchtet hatte.
    ›Er war seinem Vater so ähnlich‹, hat sie gesagt. ›Ich habe es ihm nie erzählt, und er kann sich nicht wirklich an ihn erinnern. Gennaro, mein Mann, war ein so guter Mensch und so gutaussehend. Aber er hat sich immer alles viel zu sehr zu Herzen genommen. Als Kind hatte er rheumatische Fieberanfälle, und seine Mitralklappen fingen an, Probleme zu machen, da war er gerade mal Anfang Dreißig. Schließlich war er zu oft krank, um einer geregelten Arbeit nachgehen zu können. Er hatte das Gefühl, daß er uns im Stich gelassen hätte, daß ich für den Rest meines Lebens an einen kranken Mann gefesselt sein würde und daß ich ihn niemals hätte heiraten dürfen. Natürlich war niemand mehr bereit, sein Leben zu versichern. Ich habe nie mit Enzo darüber gesprochen – hätte ich das tun sollen? Jedes Jahr kommen bei der Eröffnung der Jagdsaison Menschen durch Unfälle um, darum dachte ich, wenn irgend etwas davon bis zu ihm dränge, würde er annehmen, es handle sich um einen Unfall. Ich habe Gennaros Revolver einem seiner Freunde gegeben, damit er ihn wegschaffen konnte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich mit ihm darüber geredet hätte. Außerdem habe ich den Eindruck, daß er es wußte. Schließlich war er nicht im Dienst, nicht in Uniform, warum also hatte er die Pistole dabei? Kinder spüren die Dinge, die wir ihnen nicht erzählen.‹
    Sie hat mich ausdrücklich gebeten, Ihnen zu danken.«
    »Mir?« fragte der Maresciallo erstaunt.
    »Er hat ihr erzählt, daß Sie wie ein Vater zu ihm waren. Ich hatte den Eindruck, sie glaube, daß er viel dringender einen Vater als eine Frau an seiner Seite gebraucht hätte. Übrigens, der Staatsanwalt hat den Leichnam freigegeben. Das immerhin habe ich ihr sagen können. Es tut mir leid, daß ich Ihnen mit der Autopsie nicht weiterhelfen konnte, aber wie ich schon sagte …«
    »Schon gut, das hätte keinen Unterschied gemacht, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Forli hat mir auch so weiterhelfen können. Sie kann nun ihren Sohn beerdigen, ohne sich auch noch Gedanken über diesen
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