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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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Schnurrbart mit nach oben gezwirbelten Spitzen, und um den Hals trägt er eine breite Schleife. Der Nachteil war, dass er einen Haufen Kinder hatte, mehrere Buben, die schon größer waren, und zwei Mädchen. Meine Mutter war das jüngste Kind und beim Tod der Mutter noch sehr klein. Damals wurden die Ehen noch nach alter Sitte durch Heiratsvermittler gestiftet. Meinem Großvater fiel es trotz des Nachteils, den seine Kinderschar darstellte, nicht schwer, die Hand der reichen Witwe zu gewinnen. Um nicht zu gestehen, dass sie seinem Charme erlegen war, erklärte diese zur Entschuldigung, dass ein Zauber sie zur Einwilligung gezwungen habe, denn ihre Lehrmeisterin in der Magiehabe eine verzauberte Nadel in die Rose gesteckt, die der Großvater ihr während der Verhandlungen beim Heiratsvermittler geschenkt hatte. Sie pflegte ihre Erzählungen darüber, wie sie zu ihrer dritten Ehe gekommen war, mit einer der Sentenzen zu beenden, mit denen sie gerne alle ihre Reden würzte. Sie lautete in diesem Fall: «Weil ich Ja gesagt habe, habe ich ein so übles Ende genommen», als ob sie tatsächlich in schlechte Hände geraten wäre. Doch war es nur die Scham, die sie so reden ließ, denn in Wirklichkeit war es ihr gar nicht schlecht ergangen. Sie hatte die Kinder meines Großvaters gleich ins Herz geschlossen, ganz besonders meine Mutter, der sie zur Hochzeit mit meinem Vater die Wohnung, in der ich geboren bin, zur Mitgift gab. Die Liebe, die sie den Kindern entgegenbrachte, blieb nicht unerwidert, und trotz aller traditionellen Vorurteile gegenüber den Stiefmüttern fand sie sich bald in einer Familie wieder, der ein Kreislauf von Zuneigung festen Zusammenhalt gab. Auch die Liebe, die sie zweifellos für ihren dritten Gatten empfand, verbarg sie, indem sie oft die Tugenden ihres verstorbenen zweiten Mannes rühmte. Von diesem legendären Matteo, der von Beruf ein Fuhrmann für Weintransporte gewesen war, sagte sie mit sprichwörtlicher Wendung, er sei so geschickt gewesen, dass er auf Gläsern tanzen konnte, ohne auch nur eines zu zerbrechen.
    Die Welt der Werte, an die sie zutiefst glaubte, verdichtete sich in ihren Sprüchen, die nicht nur die überkommene Volksweisheit widerspiegelten, sondern auch eine starke persönliche Komponente aufwiesen. Sie klangen so, als ob sie Frucht ihrer eigenen Erfahrungen wären. Meine Mutter pflegte drei davon gerne anzuführen. Der erste lautete: «Neid immer, Mitleid nie», was besagte, man solle dafür sorgen,bei anderen kein Mitleid zu erregen, sondern besser Neid. Wenn man beneidet werde, gehe es einem gut, weil man Vorzügliches geleistet habe, werde man aber bemitleidet, dann gehe es einem schlecht und das, was man tue, sei nicht viel wert. Der zweite Spruch: «Nein heißt Frieden, ja heißt Krieg» bedeutete, man solle auch einmal so mutig sein, nein zu sagen, denn wenn man immer nur ja sage, dann komme man leicht in die Bredouille. Der dritte hieß: «Es gibt so viel Kraut im Garten, dass es auch einen Toten auferwecken könnte.» Damit spielte sie auf die in der Volksmedizin gebräuchlichen Kräuter an und drückte auf solche Weise die unerschütterliche Zuversicht aus, dass die Zukunft Besseres bringe, als es die gegenwärtige Lage vermuten lasse.
    Mein Großvater
    Die tiefe Zuneigung aller Kinder zu ihrer Stiefmutter minderte keineswegs den großen Respekt vor ihr, den sie sich mit ihrer Autorität als kluge und tüchtige Frau zu erwerbengewusst hatte. Zum Beweis dafür führte meine Mutter die Geschichte von der tönernen Amphore an, welche die Stiefmutter im Sommer zur Kühlung auf den Balkon stellte. Da sie direkt aus der Öffnung trank, ohne ein Glas zu benutzen, hatte sie sich den persönlichen Gebrauch vorbehalten. Ihr Verbot, daraus zu trinken, wurde auch streng befolgt, aber einmal setzte einer der Söhne versehentlich zu einem Schluck daraus an und entdeckte, dass die Amphore kein Wasser, sondern Wein enthielt. Wein verkaufte die alte Schankwirtin inzwischen nicht mehr, aber dem Gott Bacchus huldigte sie noch immer gerne und löschte ihr ganzes Leben lang täglich damit den Durst.
    Meine Mutter war von klein auf von der Stiefmutter aufgezogen worden, deren Einfluss auf ihr Denken und Handeln deshalb sehr groß war. So kam es, dass sie ihren eigenen Kindern und auch mir, der ich erst einige Jahre nach dem Tod dieser Großmutter auf die Welt kam, unzählige Geschichten von ihr erzählte. Nach der Geschichte der Heirat mit meinem Großvater kam gleich die von der
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