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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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rauchten noch. Auch ein Nebenhaus war von einer Bombe getroffen und der Länge nach aufgespalten worden. Wie in einem Puppenhaus konnte man die Räume mit ihrem Mobiliar sehen. Dem ersten Bombenangriff folgten schnell weitere, die ebenso große Schäden anrichteten, so dass die Lage brenzlig wurde. Die Stadt war praktisch schutzlos den Luftangriffen ausgeliefert. Kein Flakgeräusch war zu hören, und kein Jagdflieger erhob sich, um zu versuchen, die feindlichen Flugzeuge aufzuhalten. In dieser Situation war es nur allzu einfach für die Amerikaner, ihre Bomben abzuwerfen und sich danach ungestört wieder davonzumachen.

2. Giardini
    Mein Vater sah ein, dass die Lage in Catania immer bedrohlicher wurde und die Familie wegen der Nähe unseres Hauses zum Sitz des deutschen Kommandos in großer Gefahr war. Er beschloss deshalb, uns fortzubringen. Aber wohin? Statt in einem der nahen Dörfer in der Ebene oder auf den Hängen des Ätnas Zuflucht zu suchen, dort oben, wo wir manchmal in einem gemieteten Haus den Sommer verbracht hatten, ergriff er die Gelegenheit, um seinen alten Traum, Sizilien zu verlassen, zu verwirklichen. Zunächst jedoch brachte er die ganze Familie – meine Mutter, mich und meine zwei älteren Brüder sowie meine zwei kleinen Schwestern – in aller Eile nach Giardini, einem etwa fünfzig Kilometer von Catania entfernten kleinen Ort am Meer. Hier lag der damals noch ganz menschenleere Strand von Taormina, dem berühmten und beliebten Ziel von Feriengästen aus ganz Europa, den auch Goethe so schön fand, dass er seinen treuen Reisebegleiter Christoph Heinrich Kniep beauftragte, ihn zu zeichnen. Auf dieser Zeichnung sieht man den Strand und die großen Lavafelsen, die zum Teil aus dem Wasser herausragen und eine der größten Attraktionen der Küste hier bilden. Mein Vater mietete zwei Zimmer in einer kleinen Pension etwas oberhalb des Strands, von deren Fenstern aus sich die weite Meeresfläche bis zum Horizont vor unseren Augen ausbreitete. Dort richtetenwir uns provisorisch für vierzehn Tage ein, während mein Vater nach Catania zurückkehrte, um die lange Reise, die uns erwartete, vorzubereiten.
    Christoph Heinrich Kniep, Zeichnung des Strands von Giardini
    Für mich und meinen drei Jahre älteren Bruder Arturo bedeutete dieser Aufenthalt in Giardini zwei unbeschwerte Ferienwochen. Wir verbrachten den ganzen Tag am Meer und spielten auf den blanken, schwarzen Felsbrocken, dort, wo ein bis zum Meer vorgedrungener Lavastrom vor undenklichen Zeiten eine bizarre Landschaft von Klippen, Grotten und Felsen hinterlassen hatte. Dabei entdeckten wir, dass sich in den Zwischenräumen dieser Felsen Meeresfrüchte verbargen. So bewaffneten wir uns mit einem Messer und einem Draht, um auf die Jagd nach Krebsen und Muscheln zu gehen. Wenn wir von Stein zu Stein hüpften und auf die höheren Brocken kletterten, erspähten wir in den Zwischenräumendie dunkelgrünen Muscheln, die an den Steinen klebten. Dann machten wir uns daran, sie abzulösen und das Muschelfleisch gierig und glücklich zu verschlingen. Schwieriger war es, Krebse zu fangen, aber manchmal gelang es, einen in seiner Höhle auszuspähen, und dann begann die große Jagd. Der Krebs wurde mit einem langen Draht aus seinem Versteck herausgetrieben, mit dem Messer traktiert und dann erlegt, worauf wir den Fang mit großen Siegesschreien und Sprüngen feierten. Es kam uns nicht so sehr darauf an, die Krebse zu verspeisen, es machte vor allem Spaß, sie zu fangen. Manchmal fuhren wir auch aufs Meer hinaus, wenn die Fischer, mit denen wir uns angefreundet hatten, uns auf ihren Booten mitnahmen. Sie gingen zuweilen auch auf die Suche nach den Kraken, die sich in den großen Grotten an der Küste zu verstecken pflegten. Das Fischen von Kraken im offenen Meer folgte dagegen anderen Regeln. Es wurden keine Netze dabei benutzt, und die Prozedur war folgende: Zwei Fischer fuhren frühmorgens aufs Meer hinaus, und während der eine ruderte und das Wasser dabei so wenig wie möglich bewegte, spähte der andere durch einen merkwürdigen Eimer, der statt des Bodens ein Glasfenster hatte, auf den Meeresgrund. Durch dieses Fenster konnte er im smaragdgrünen, klaren, sauberen Wasser deutlich die großen, von den Strömungen geglätteten Kieselsteine erkennen, die auf dem Meeresboden verstreut lagen. Erblickte er dann einen Kraken, gab er dem Ruderer das Zeichen anzuhalten und warf die «purpara» ins Wasser, ein eiförmiges Bleistück, an dem drei Angelhaken mit
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